Habsburgs letzte Herrscherin Bestellen? Zurück Home

Alfons war krank, sehr krank. Daß er nicht eben mit einer robusten körperlichen Konstitution ausgestattet war, das war seit seiner Kindheit bekannt. Schon seine Erzieher am Theresianum hatten berichtet, daß "seine schwächliche Gesundheit einige Abweichungen von der allgemeinen Hausregel erforderte". Doch Alfons hatte stets gegen sein Handicap angekämpft und war ein ausgezeichneter Sportler geworden. Seine straffe Haltung und seine Aktivität täuschten auch vielfach über seine Blässe und seine eingefallenen Wangen hinweg. Bis jetzt hatte wohl nur er selbst gewußt, wie krank er wirklich war, denn nach außen hin zeigte er niemals Schwäche. Seinen Husten tat er als lästige Erkältung ab, und um seine Umgebung zu täuschen, benützte er sogar ein rotes Taschentuch. Die meisten fielen auch darauf herein und meinten, es handle sich um eine modische Extravaganz des jungen Monarchen. Er selbst aber wußte es besser.
Die schleichende Krankheit erklärt auch so manches. Zum einen die rasche Wiedervermählung, knapp eineinhalb Jahre nach dem Tode der geliebten Gemahlin, und das unausgesprochene Drängen auf einen männlichen Erben. Zum anderen die exzessive Lebenslust des Königs. Er war erst Mitte Zwanzig, fühlte aber schon die Hand des Tod nach ihm greifen. Verständlich, daß er in der knappen Zeit, die ihm noch bemessen war, das Leben und die Liebe auskosten wollte. Vielleicht sah es auch María Cristina jetzt so, denn sie erhob keinen Einspruch mehr, als er Adela Borghi zurückholte und seine Liaison mit ihr wieder aufnahm.
Alfons wurde von Tag zu Tag blasser. Unbarmherzig höhlte die Tuberkulose seinen Körper aus. Noch vermochte er seinem Volk zu verbergen, wie es um ihn stand. Noch konnte er den Helden spielen.
Als im Sommer 1884 in Alicante eine Choleraepidemie ausbrach, schickte er seine Gemahlin mit den Kindern allein in die Sommerresidenz von La Granja. Er selbst begab sich in das Seuchengebiet, um persönlich die Maßnahmen zu überwachen und durch seine Anwesenheit beruhigend auf die Menschen zu wirken.
Auch nach dem verheerenden Erdbeben, das im Dezember 1884 Andalusien heimsuchte und 2000 Tote forderte, war er wieder zu Stelle. Fast drei Wochen hielt er sich mitten unter den Bebenopfern auf und half eigenhändig bei den Aufräumungsarbeiten mit. Die Bevölkerung dankte ihm seinen Mut mit großer Verehrung. Die Leute konnten ja nicht wissen, daß ihr König vielleicht auch deshalb so heldenhaft war, weil er nichts mehr zu verlieren hatte. 
Mit bewundernswerter Selbstdisziplin hielt Alfons am "business as usual" fest. Dazu gehörte neben den Repräsentationsverpflichtungen auch die Teilnahme an den großen Hofbällen. Der englische Diplomat, Sir Arthur Hardinge, erinnerte sich besonders gut an den Hofball des Jahres 1885, weil es damals zu einem kuriosen Vorfall kam, bei dem der König wieder einmal seinen legendären Humor unter Beweis stellte. "Ein amerikanischer Diplomat hatte sich für diese Gelegenheit ein neues Paar Schuhe gekauft, die ihm jedoch viel zu klein waren und ihm daher quälende Schmerzen bereiteten. … Als er es nicht mehr aushielt, zog er sie aus und plazierte sie auf einem danebenstehenden Stuhl. Sogleich näherte sich ein Lakai und machte ihn darauf aufmerksam, daß seine Kleidung nicht komplett sei. Da die Königin und die Infantinnen nur wenige Schritte von ihm entfernt tanzten, versuchte er, seine Schuhe schnell wieder anzuziehen. Doch ohne Erfolg. Der Diener begab sich daher zum König, um ihm zu berichten. Alfons brach in ein schallendes Gelächter aus und schickte den Diener fort. Als dieser zurückkehrte, brachte er ein Paar Hausschuhe mit und sagte zu dem Amerikaner: "Seine Majestät bitten Sie diese Schuhe anzunehmen, es sind seine eigenen, und er versichert Ihnen, daß Sie sie bequem finden und anbehalten werden."
Der König gab sich immer noch witzig und locker. Es schien fast so, als wollte er seine Krankheit einfach ignorieren, denn er schonte sich nicht und kümmerte sich auch nicht um die Warnungen seiner Berater. Als im Juni 1885 erneut die Cholera, diesmal in Aranjuez, wütete, schlich er sich sogar um sechs Uhr morgens heimlich aus dem Palast und begab sich zum Bahnhof, um den gewöhnlichen 7-Uhr-Zug nach Aranjuez zu nehmen. Für María Cristina hatte er nur ein Billet hinterlassen, auf dem stand, sie solle sich keine Sorgen machen.
Der Stationschef hatte Alfons jedoch erkannt und die Behörden informiert, sodaß diese Aktion des Königs bekannt wurde. Die Bevölkerung jubelte über die Verwegenheit ihres Monarchen, und als er nach Madrid zurückkehrte, wurde ihm ein großartiger Empfang bereitet. Maria Cristina erwartete ihn am Bahnhof. Für einen Moment vergaß sie ihre Sorgen, und als sie ihn in die Arme schloß, flüsterte sie: "Heute liebe ich dich wie immer, aber ich bewundere dich mehr als je zuvor."
Möglicherweise fand damals eine ganz zarte Annäherung zwischen den königlichen Eheleuten statt. Die schwere Zeit, die ihnen bevorstand, und die Zukunftsängste verbanden sie zum ersten Mal während ihrer nunmehr sechsjährigen Ehe.
Gleich nach Alfons' Rückkehr begab sich das Königspaar nach La Granja zum Sommeraufenthalt. Es sollte ihr letzter gemeinsamer Sommer werden.
Ende September, als die Familie bereits wieder in Madrid residierte, telegraphierte der österreichische Botschafter Dubsky nach Wien, daß König Alfons seit einigen Tagen verkühlt sei und das Zimmer hüten müsse. 
Am 31. Oktober übersiedelte der Monarch schließlich in den Palast von El Pardo, wo etwas bessere klimatische Verhältnisse herrschten als in Madrid, das den kalten Herbstwinden besonders stark ausgesetzt war. 
Die Königin blieb mit den Kindern in der Hauptstadt. Es war der ausdrückliche Wunsch von Alfons und von Regierungschef Cánovas. Man wollte auf keinen Fall Unruhe in der Bevölkerung aufkommen lassen. Wenn María Cristina in Madrid wie immer ihren Repräsentationsaufgaben nachging, dann konnte man den Anschein erwecken, als handle es sich tatsächlich nur um eine harmlose Erkältung des Königs. In Wahrheit aber wußten beide von den Ärzten, daß Alfons nur noch wenige Wochen zu leben hatte.
Nur sehr widerwillig fügte sich die Königin dem Willen ihres Gemahls. Viel lieber wäre sie an seiner Seite geblieben, denn auch sie ahnte natürlich wie es um ihn stand. Doch sie mußte so tun, als wäre alles in Ordnung, lächeln, winken, plaudern. Es fiel ihr schwer, sich Abend für Abend im Theater zu zeigen, und sie war jedes Mal froh, wenn das Licht ausging und sie sich ihren Gedanken hingeben konnte.
Alfons nahm von El Pardo aus die Staatsgeschäfte wahr. Im August hatte Deutschland unter einem fadenscheinigen Vorwand die Carolinen-Inseln besetzt, und er verhandelte nun laufend mit dem deutschen Gesandten, Solms, um eine Beilegung des Konfliktes zu erreichen. Viel Zeit hatte er dazu allerdings nicht mehr. Doch es gelang ihm, über Vermittlung von Papst Leo XIII. die Anerkennung der spanischen Souveränität zu erreichen und gleichzeitig Deutschland die völlige Handels-, Schiffahrts- und Fischereifreiheit anzubieten. Mit diesem Erfolg krönte er seine Legende als "rey pacificador". Es war sein letzter Dienst für Spanien. Als Solms am 23. November zum letzten Mal bei ihm war, sagte Alfons: "Ich bin kränker als die meisten glauben."
Sein Zustand verschlechterte sich nun zusehends. Er war verzweifelt. Was würde aus Spanien werden, wenn er nicht mehr war? In seinen letzten Tagen versuchte er daher, María Cristina, nachdem er sie jahrelang von den Staatsgeschäften ferngehalten hatte, auf die schwere Aufgabe vorzubereiten, die auf sie zukam.
Erst jetzt schien er zu erkennen, was er an dieser Frau hatte. Erst jetzt erkannte er ihre menschliche Größe, ihre innere Schönheit und ihre Fähigkeiten. "Wie gut Du bist, Crista", sagte er bei einem ihrer letzten Besuche, "Ich verdiene nicht, daß Du Dich so um mich sorgst; aber ich weiß, daß, wenn ich dahin gegangen sein werde, Du für Spanien sorgen wirst, so wie ich es getan habe."
Doch würde sie tatsächlich die Regentschaft ohne Probleme übernehmen können? Seine älteste Tochter, María de las Mercedes, die damals fünf Jahre zählte, war zwar zur Thronfolgerin ernannt worden, doch wer konnte schon sagen, ob es nicht wie 1833 bei der Thronbesteigung Isabellas II. wiederum zu Unruhen und vielleicht gar zu einem Bürgerkrieg kommen würde. Würde Maria Cristina fähig sein, die Ansprüche ihrer minderjährigen Tochter zu verteidigen? Und das Kind, das sie unter dem Herzen trug …?
Alfons sollte die Geburt des so heiß ersehnten Sohnes nicht mehr erleben.



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