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Die Glaub-Würdigkeit der Evangelien

Die Frage "Wie glaubwürdig sind die Evangelien?" ruft sogleich eine andere Frage hervor, nämlich: Ist diese Frage nach der Glaubwürdigkeit, noch dazu in so direkter Weise gestellt, überhaupt beantwortbar? Ist sie überhaupt sinnvoll? Oder befindet man sich da in einem Bereich, in dem es nur die eine Antwort gibt: Für den, der glaubt, was die Evangelien verkünden, verkünden wollen, sind sie glaubwürdig; der, welcher nicht glaubt, wird ihre Glaubwürdigkeit bezweifeln. Kann es aber verschiedene Grade dieses Zweifels geben, oder ist nur einem vorbehaltlosen klaren Ja oder Nein jene geistige Redlichkeit zu eigen, die in religiösen Regionen das Fundament bilden sollte? Da stößt man wieder an diesen Graben, der Glauben und Wissen trennt, der heute immer breiter wird, und von dem vor über 200 Jahren schon Lessing sagte: "Das, das ist der garstige breite Graben, über den ich nicht kommen kann, so oft und ernstlich ich auch den Sprung versucht habe."29

Der Theologe William Wrede beschrieb 1901 den tendenziösen Charakter der ältesten erhaltenen Quelle für das Leben Jesu, des Markusevangeliums. Der kerygmatische Grundzug der Jesusüberlieferung wird seit langem von den Theologen erkannt, es wird betont, daß die Texte mehr durch Predigt-Intentionen den Gemeinden gegenüber als durch historische Erinnerungen geprägt sind (zum Beispiel Martin Dibelius und Rudolf Bultmann). Heute besteht weitgehende Übereinstimmung darin, daß die Evangelien nicht als Biographien zu verstehen, sondern von ihren theologischen Leitgedanken her zu sehen und zu interpretieren sind.

Rudolf Bultmann hat die Frage nach der Glaubwürdigkeit der Evangelien auf eine andere Ebene gebracht. Er erkannte, daß die biblischen Texte in ihrer mythologischen Vorstellungswelt von unserem heutigen Wirklichkeitsdenken nicht mehr erfaßt werden können. Er fordert, hinter den mythologischen Aussagen die in ihnen enthaltene tiefere Bedeutung zu entdecken, und er schlägt eine "existenziale Interpretation" der Mythologie vor, wobei die existentiellen Phänomene Schuld, Gewissen, Tod im Vordergrund stehen. Bultmanns "Entmythologisierung" entfachte in den 50er Jahren heftige Auseinandersetzungen.

Die christliche Lehrverkündigung, die theologische Literatur, die Liturgie in den christlichen Gotteshäusern berufen sich auf Jesusworte, als seien diese historisch zweifelsfrei gesichert. Der als fortschrittlich geltende Theologe Gerd Lüdemann befindet mutig: "Beanspruchen die christlichen Kirchen Jesus für sich, dann müssen sie Jesus, wie er wirklich war, respektieren und die späteren Übermalungen seiner Verkündigung und Person als späteres Beiwerk anerkennen; hierzu gehören auch (nämlich neben aller Christologie) rund 85 % aller überlieferten Worte Jesu."30

Alle Worte Jesu, nicht nur die 15 % eines Jesus "wie er wirklich war", entstammen den Federn der Evangelisten. Sie gelten als göttliche Offenbarung und werden damit als verbindlich für Theologie, Moral und die praktische Lebensführung angesehen. Über das Verständnis, die Auslegung und über die Fragen der Einhaltung dieser in den Evangelien gepredigten Gebote gab es seit fast 2000 Jahren stets und ständig Auseinandersetzungen. Es ist erschreckend, wie verschiedene Auslegung von Vokabeln schon zu entsetzlichen Kriegen führte und unendlich viel menschliches Leid verursachte. Eine Auseinander-Setzung im wörtlichsten Sinne war die Reformation.

Wie weit sich heutiges Denken, heutige Theologie, und nicht nur deren historisch-kritische Richtung, von einer altehrwürdigen lediglich gläubig-naiven Haltung schon entfernt haben, wird deutlich, wenn man an die Worte Martin Luthers in seiner "Kirchenpostille" denkt: "Das Evangelium ist so klar, daß es nicht viel Auslegens bedarf, sondern es will nur wohl betrachtet, angesehen und tief zu Herzen genommen sein."

Allerdings: Für die offizielle katholische Kirche gibt es nach wie vor keine Diskussion über die Geschichtlichkeit der Evangelien. Die Worte des heiligen Kirchenvaters Augustinus sind nicht vergessen: "Ich würde dem Evangelium nicht glauben, wenn mich nicht die Autorität der katholischen Kirche bewöge."31

 

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