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Anselm Eder: "Das Böse", S. 25-27:

 

Die Frage nach dem Bösen kann man also auf zumindest zwei Arten stellen: einmal als die bange Frage: "Woher kommt es, daß Menschen anderen Menschen so viel Böses antun?" und zum anderen: "Woher kommt es, daß Menschen - vielleicht im Rahmen des Versuchs, mit dem vielen Bösen fertig zu werden, das ihnen passiert - dieses Böse als etwas ansehen, das außerhalb des einzelnen, konkreten Ereignisses und außerhalb des einzelnen, konkreten Menschen als 'das Böse' schlechthin, für manche auch als 'der Böse' (Geist, Teufel) existiert?"

Auch wenn man noch gar nicht religiöse Konzepte berücksichtigt, die manche Menschen dazu veranlassen, an den oder die Teufel zu glauben, muß man ja zunächst einmal festhalten, daß die Diskussion über "das Böse" eine ganz andere sprachliche Konstruktion ist als andere Substantivierungen, die nur scheinbar ähnlich funktionieren. Wenn wir etwa von "dem Schlaf" sprechen, dann denkt kaum jemand an eine von Menschen unabhängige, real existierende Kraft oder Energie, oder gar ein Geistwesen mit personalem Charakter, das oder die von irgendwoher kommt und vom Menschen in mehr oder weniger mächtiger Weise Besitz ergreift. Sondern "der Schlaf" ist nichts weiter als die schlichte Tatsache, daß Menschen schlafen. Und aus Gründen der sprachlichen Vereinfachung, weil es sich manchmal kürzer aussprechen läßt, haben wir "den Schlaf" erfunden, um damit die Tatsache auszudrücken, daß jemand schläft.

Zur Beschreibung der Tatsache, daß jemandem Böses widerfährt, wird aber aus vermutlich anderen Gründen der Begriff "das Böse" herangezogen. Dahinter steht offensichtlich die Vorstellung, daß dieses "Böse" außerhalb des Menschen, und unabhängig von diesem, existiert.

Woher kommt diese Vorstellung, und was könnte sie für einen Sinn haben?

Fünf Antworten, so schlage ich vor, könnten wir uns genauer anschauen.

Die erste Antwort lautet: Seit es Menschen gibt, gibt es das Böse. Es gehört zur menschlichen Existenz einfach dazu und bedarf deshalb auch keiner weiteren Erörterung. Das ist halt einfach so.

Die zweite Antwort lautet: Das Böse gehört zur Natur des Menschen. Schon bei Tieren beobachten wir Aggression, sie fressen einander sogar auf. Kein Wunder, daß die Menschen Vergleichbares tun. Allerdings ist diese Antwort eine Antwort auf die Frage, woher die Tatsache des Bösen kommt, nicht aber darauf, woher die Abstraktion des Bösen in der Vorstellung der Menschen kommt; der Versuch, das Böse nach außen zu verlagern.

Die dritte Antwort lautet: Das Böse ist göttlichen Ursprungs. Es ist und bleibt ein Geheimnis, wie aus dem Prinzip des Guten das Prinzip des Bösen hervorgehen konnte. Tatsache aber ist, daß es ein solches Prinzip gibt, und daß es als "Person", als Geistwesen, existiert.

Die vierte Antwort lautet: Die Verlagerung des Bösen nach außen, in eine menschenunabhängige Existenzform, hat eine psychologische Funktion, sie dient der Bewältigung von Angst und Schuld. Die Seele des Menschen braucht das Böse nicht nur als theoretische Abstraktion, sondern als menschenunabhängige Existenz, um mit den konkreten, individuellen Erfahrungen des Bösen besser fertig werden zu können.

Die fünfte Antwort lautet: Das Böse entsteht in der Gesellschaft, in sozialen Systemen. Der einzelne ist weder daran schuld, noch ist er/sie am Zustandekommen des Bösen oder irgendwelcher Abstraktionen des Bösen wirklich beteiligt.

Wahrscheinlich sind alle fünf Antworten in diesen Formulierungen noch so abstrakt, daß man sich stundenlang über sie unterhalten könnte, ohne zu irgendeinem Ergebnis zu kommen. Außerdem hat jede der fünf Antworten vermutlich ihre Berechtigung, sodaß es nicht darum gehen kann, die richtige zu finden, sondern darum, was sie im einzelnen bedeuten könnten.

Das Böse

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