Zwischen Polarkreis und Äquator | Bestellen? Zurück Home |
Ferdinand Starmühlner: "Zwischen Polarkreis und Äquator", S. 114-116 Bevor meine Tauchexkursionen bei Kovalam Beach, in der Nähe von Trivandrum, der Hauptstadt von Kerala, beginnen sollten, hatten wir beschlossen, gemeinsam mit einem amerikanischen Ehepaar ein Auto mit Chauffeur für einige kulturelle Exkursionen zu mieten. Das staatliche Reisebüro im Moscat-Hotel, das uns das Auto vermietet hatte, leitete damals Raja Raja Varma, der Gatte von Prinzessin Gowri Parvathi Bayi, der Nichte des Maharadschas von Travancore. Wir besuchten das Elefanten- und Tigerschutzgebiet von Periyar und bereiteten noch eine Fahrt nach Cap Comorin, der Südspitze von Indien, vor. Bereits vor der Abfahrt am Morgen klagte meine Frau über Bauchschmerzen, die sich während der Fahrt über die holprige Küstenstraße immer mehr verstärkten. Wir erreichten zwar Cap Comorin, dann ging es aber im Eiltempo wieder zurück nach Trivandrum. Mit Mühe gelang es uns, meine Frau, die bereits fieberte, in unser Hotelzimmer zu bringen. Mein nächster Weg führte mich ins Büro von Raja Varma, dem ich hastig unsere Besorgnis vortrug. Er verständigte sofort Dr. Gopi, den Hausarzt der königlichen Familie, der auch am späten Nachmittag erschien. Nach der Untersuchung meiner Frau meinte er sorgenvoll, er glaube, es sei eine akute Blinddarmentzündung! Er gab meiner Frau vorerst schmerzstillende Tabletten und versprach, abends gegen zehn Uhr wiederzukommen. Leider hatte sich bis dahin ihr Zustand nicht gebessert, so rief Dr. Gopi den Chirurgen des Medical College, Professor Shivaraja, an, der auch nach kurzer Zeit bei uns einlangte. Mit seinem Autoschlüssel drückte er die schmerzende Bauchseite, meine Frau schrie auf. Diagnose: "Akute Blinddarmentzündung, sofortige Operation notwendig!" Gegen die Proteste meiner Frau, die verlangte, nach Wien zurückfliegen zu können, meinte der Professor lakonisch: "Sie haben mich gerufen, jetzt bin ich verantwortlich!" Er telefonierte mit seiner Klinik, um alles für eine sofortige Operation vorzubereiten, und brachte uns mit seinem Auto ins Spital. Hier wurden wir bereits von den diensthabenden Ärzten und Schwestern erwartet, und bevor meine Frau in den Operationssaal geschoben wurde, fragte mich noch der Professor, ob ich nicht dabei sein wolle, was ich aber dankend ablehnte. Nach einer Stunde, es war zirka ein Uhr morgens, kamen die Ärzte aus dem Saal, und der Professor lächelte: "Wir haben es geschafft, es war höchste Zeit!" Während sonst die Patienten des Medical College in großen Krankensälen untergebracht waren, in denen sich auch die Familien samt Kindern aufhielten und wo sogar gekocht wurde, bekam meine Frau ein eigenes Zimmer. Es war eigentlich eine dunkle Kammer mit Gangfenster und dahinter ein kleiner Waschraum mit Waschmuschel und offenem Abtritt. Während meine Frau noch schlafend in der Narkose lag, brachte mir eine Schwester eine Matratze und legte sie neben dem Krankenbett auf den Boden, damit auch ich endlich zum Schlafen käme. Aber so schnell ging es nicht, denn als ich mich erschöpft niederlegte, hörte ich ein kratzendes Rascheln am Boden; ich griff neben meine Matratze und hatte einige Schaben (Kakerlaken) in meiner Hand. Sie krochen in Scharen über den Boden, um erst morgens wieder beim Abtritt und in Spalten zu verschwinden. Neun Tage mußte meine Frau in ihrer Kammer verbringen, bekam zahlreiche Penicillinspritzen gegen ihr hohes Fieber und war der "bestaunte Mittelpunkt" der Klinik. Sämtliche Doktoren und viele Studenten kamen uns besuchen, während die Schwestern an ihrer Haut kratzten, um zu sehen, ob sie wirklich so weiß ist (eine helle Haut gilt in Südindien als vornehm und wird mit Puder und Salben vor allem von Tänzerinnen imitiert). Ein Problem war das Essen. Bereits am ersten Tag kam eine Schwester mit Reis und scharfem Curry, was wir aber ablehnten. Ich brachte zuerst vom Hotel Weißbrot und Bananen, dann bekamen wir aber täglich Besuch meines indischen Kollegen Dr. Radhakrishnan und seiner Frau Rema. Ich ersuchte sie, von einem der Märkte Porridge und Dosenschinken zu bringen, letzteres nicht ganz einfach für eine Hindufrau, die als Vegetarierin noch nie Fleisch gekauft hatte. Eines Tages kam ein älterer Herr, um sich nach dem Zustand meiner Frau zu erkundigen. Ich glaubte, es sei wieder einer der Spitalsärzte, und wollte ihm die Narbe meiner Frau zeigen. Hinter ihm winkte aber ein schnurrbärtiger Begleiter und rief: "Nein, Seine Hoheit ist kein Arzt, er ist der Colonel-Raja, der Schwiegervater von Raja Varma!" Er wollte wissen, ob wir irgend etwas brauchten. Ich erzählte ihm von unseren Problemen mit dem Essen und meinte, wenn wir zum Beispiel Äpfel hätten (die es im heißen Südindien nicht gibt), könnten wir Apfelmus machen. "Kein Problem", meinte der Raja, "ich werde sofort nach New Delhi telefonieren und lasse mit dem nächsten Flugzeug Äpfel kommen." So geschah es auch. Ich übergab die nordindischen Äpfel Frau Radhakrishnan, und sie kochte nach meinen kärglichen Anleitungen Apfelmus. |
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