Kommissar Laglers Fälle Bestellen? Zurück Home

Lagler ließ die Blätter auf sein Bett fallen. Das also war es, das Blutbad in der Fußgängerzone Kärntnerstraße! Der Doppelmord hatte damals für mehr Aufsehen gesorgt als die Erschießung eines Innenstadtjuweliers durch die Mafia am hellichten Tage. Soviel er wußte, war man bei der Aufklärung des Falles so gut wie nicht weitergekommen. Kollege Vybiral hatte die Ermittlungen über gehabt, und Lagler hatte sich damals schon beglückwünscht, nicht mit einem solchen exotischen Fall betraut worden zu sein. Solche Geschichten hatten eine fatale Neigung, unaufgeklärt zu bleiben. Und jetzt war er selbst mitten drin. Die beiden Toten galten damals als nicht identifizierbar.

Lagler konnte sich nur daran erinnern, daß damals eine eher aufwendige Suche nach dem Auto der Täter, das ja verbeult und blutbesudelt sein mußte, völlig ergebnislos verlaufen war. Das erklärte wohl auch, warum die Nachforschungen nach dem Wagen, der Maisky überfahren hatte, bisher erfolglos geblieben waren. Offenbar besaßen die beiden rivalisierenden Organisationen ausreichend Garagenplätze in Gebäuden, wo sie niemand vermutete oder wo sich niemand nachzusehen getraute.

So spät es auch war, an Schlaf war dennoch nicht zu denken. Das Kriminalistenhirn, einmal geweckt, konnte erst wieder eingeschläfert werden, wenn es ausreichend Schlafpillen in Form von Kombinationen erhalten hatte. Lagler stand auf und ging zum Fenster, öffnete es weit. Duftende Nachtluft kam herein und umgab ihn wie ein lauwarmes Bad. Völlige Stille herrschte draußen. Gegen vier Uhr morgens schlief die Innere Stadt tief. Keine Rede von ‚City that never sleeps‘. Die Straßenlaternen schienen, von einem gelben Strahlenkranz umgeben, auf Gründerstil-Häuserfassaden der Gonzagagasse und auf menschenleere Gehsteige, die genauso einer Nacht in der Kaiserzeit angehören könnten, wären da nicht die vielen geparkten Blechkarossen gewesen. Lagler meinte sogar den nahen Donaukanal rauschen zu hören. Doch das dürfte wohl Einbildung sein. Er hörte wahrscheinlich das aufgeregt strömende Blut in seinen eigenen Schläfen.

War jetzt eigentlich klar, daß der Mord an Maisky eine Geheimdienstangelegenheit darstellte? Friedman hatte von Maisky als von einem ‚Kometen‘ gesprochen, also von einer Randerscheinung. War diese Behauptung noch aufrecht zu halten? Würde eine Randfigur mit einem solchen Aufwand verfolgt werden? Konnte sich andererseits ein Geheimdienst leisten, das Scheitern einer Strafexpedition ohne weitere Maßnahmen hinzunehmen? Wenn das Blutbad Grund für eine spätere Rache an Maisky war, was konnte dann das Motiv für den Mord an Zitterauer sein? Gab es vielleicht doch keinen Zusammenhang zwischen den beiden Verbrechen? Möglich, doch hochgradig unwahrscheinlich. Zitterauer selbst hatte bestätigt, Kontaktmann zwischen der Organisation und Maisky gewesen zu sein. Viele Fragen und wenig Antworten.

Wenn Maisky doch nicht als Randfigur, sondern mitten im Spionagegeschäft gewirkt hatte, konnte Claire dann wirklich so ahnungslos gewesen sein? Die Nachtluft kam Lagler plötzlich bitter vor. Er schloß das Fenster und setzte sich wieder auf sein Bett. Hatte sie nicht bei der Unterhaltung über Maiskys Aufzeichnungen gewirkt, als wolle sie etwas verstecken? Existierten doch noch mehr Papiere, als die allzu privaten vom Kennenlernen in Italien und der darauf folgenden Liebesgeschichte? Wen sollte sie denn eigentlich decken wollen? Marko, wen sonst!

Zornig stopfte Lagler die Papiere in seine Aktentasche. Er müßte schlüssig beweisen können, daß es um einen Krieg der Spione ging. Dann müßte die geheime Staatspolizei sich der Sache annehmen, und er wäre die widerliche Geschichte endlich los. Ob er jetzt noch schlafen können würde oder nicht, war eigentlich egal. Lagler legte seinen Kopf auf das Kissen und starrte mißmutig auf die Zimmerdecke. Im Halbschlaf hörte er noch wie ein Regenschauer niederging. Gut, daß ich das Fenster zugemacht habe, dachte er verschwommen, dann schlief er schon.



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