Die Affen, der Papst und die Erbsünde | Bestellen? Zurück Home |
Augustinus rang zeitlebens um eine einleuchtende Erklärung dessen, was für ihn ein so fürchterliches Problem der Geschlechtlichkeit darstellte. Da gab es in der Bibel zwar den ermunternden Auftrag durch Gott "Seid fruchtbar und mehret euch", aber warum, so sinnierte Augustinus, mußte diese Methode mit soviel Sinneslust und Verruchtheit verbunden sein? Sex vor dem Sündenfall war sicher ganz was anderes und reiner als nach der Freveltat, bloß wie? Ja, Augustinus stellte sogar Spekulationen darüber an, ob Adam im Paradies vorerst "wohl seine niedrigen Glieder unter Kontrolle hatte, wenn er auch später durch seinen eigenen Ungehorsam diese Kontrolle eingebüßt hat". Wenn Adam und Eva vor dem Sündenfall schon miteinander geschlechtlich verkehrten, dann aber unter totaler Ausschaltung von Begierde und Lust! Ein ganzes Kapitel seines Werkes "Der Gottesstaat" widmet Augustinus dem Nachweis seiner phantastischen Idee, daß der Mensch im Paradies, der Idealmensch also, seine Geschlechtsorgane völlig mit dem Willen beherrscht habe. Er meint: "So gibt es Leute, die die Ohren bewegen können, jedes für sich oder beide zusammen. Oder Leute, die die ganze Kopfhaut, soweit die Haare reichen, an die Stirn verschieben und wieder zurückziehen nach Belieben, ohne den Kopf zu bewegen. Andere wiederum holen von einer Unmasse der verschiedensten Dinge, die sie verschluckt haben, beliebige Gegenstände unversehrt wie aus einem Geldbeutel hervor und drücken dabei nur ein wenig das Zwerchfell. Wenn also selbst gegenwärtig der Leib mancher Menschen, die auch im vergänglichen Fleische ihr mühseliges Leben hienieden hinbringen, auf solche merkwürdige Weise außerhalb der gewöhnlichen Art der Natur sich dienstbar erweist in mannigfachen Bewegungen und Zuständen, warum sollten wir nicht glauben, daß vor der Sünde des Ungehorsams und der Strafe der Verderbtheit die Glieder des Menschen dem Willen des Menschen zur Erzeugung der Nachkommenschaft ohne jede geschlechtliche Lust hätten dienstbar sein können? ... Infolge des Ungehorsams gegen Gott verlor der Mensch die Fähigkeit, sich selbst zu gehorchen." Langer Rede kurzer Sinn: Der von Augustinus beobachtete Umstand, daß manche Leute mit den Ohren wackeln oder Gegenstände problemlos verschlucken können, war für ihn Beweis genug, daß die Zeugung ursprünglich völlig lustlos war. Die Erektion war irgendwie da, ohne anregendes Streicheln oder Vorspiel. So ähnlich etwa, wie wenn ein Regenschirm auf Knopfdruck ausgefahren wird - zack! Augustinus belauerte die menschliche Triebhaftigkeit in all ihren denkbar möglichen Facetten, schon der Zungenkuß war eine Todsünde. Nichts entging ihm, mit einer einzigen Ausnahme: Was passiert mit den lustlos gezeugten Kindern von Frigiden? Wenn die Lust die Erbsünde überträgt, so hieße das eigentlich, daß jemand, der nichts empfindet, auch nichts überträgt. Also keine Erbsünde? Erst im Hochmittelalter erkannte Thomas von Aquin in einer Sünden-Rasterfahndung blitzschnell das theologische "Loch" und stopfte es mit einer eleganten Formulierung zu. Entscheidend für ihn war nicht die aktuelle, das heißt im Augenblick der Zeugung empfundene Lust, sondern die im Zustand des Menschen selbst begründete, latente, "habituelle" und "geistabsorbierende" Lust. Die leiseste Hoffnung im Hinterköpfchen eines Frigiden, vielleicht doch einmal ein sinnliches Erleben zu verspüren, reicht schon. Pech gehabt. Niemand, auch kein Frigider, entkommt dem Fluch der Erbsünde. Zurück wieder zu Augustinus. Sünde, Scham und Schande standen in einem untrennbaren Zusammenhang. Die nach dem Sündenfall empfundene Scham - Adam und Eva wurden ihrer Nacktheit gewahr und "flochten Feigenblätter zusammen" - identifizierte Augustinus prompt mit einer sexuellen Scham. Ausdrücklich hält er fest: "Eben deshalb nennt man diese Glieder mit Recht Schamglieder (lat. pudenda), weil sie unbotmäßig gegen ihren Geist, ihren Herrn sich nach eigenem Gutdünken erregen, als ob sie ihre eigenen Herren wären." Im übrigen soll hier eingefügt werden, daß die augustinische Denkweise für die Nachwelt so prägend war, daß relevante Wortschöpfungen in unseren Sprachgebrauch festen Eingang gefunden haben. Nicht von ungefähr gibt es in der Anatomie Begriffe wie "Schamhügel", "Schambein" und "Schamhaare". Augustinus gilt ebenso als der Wortschöpfer der "Befleckung". Befleckung als optisch nachvollziehbares Resultat schändlichen Treibens. Mit verräterischen Spuren, die vor nicht allzulanger Zeit einem amerikanischen Präsidenten schwer zu schaffen machten. "Selbstbefleckung" ist noch immer ein geziemendes, altmodisches Synonym für Hand-Anlegung in eigener Sache. Die Jungfrau Maria wurde von keinem Mann befleckt. Sex ist pfui und fleckig, da sieht man, was man tut. "Befleckt durch väterliche Schuld" - so die augustinische Diktion - werden die Kinder als verdammte Frucht der Fleischeslust ihrer Eltern geboren. Wenn sie ungetauft sterben, sind sie die Beute des Teufels, nur durch die Schuld der Geburt. Eigene Beobachtungen am Verhalten von Kleinkindern bestärken Augustinus in seiner Ansicht, daß auch schon kleine Kinder das Böse in sich haben. So hält er mit akribischem Eifer fest: "Demnach ist die Schwäche der kindlichen Glieder, nicht aber die Gesinnung der Kinder das Unschuldige an ihnen. Ich selber habe einen eifersüchtigen Kleinen gesehen und beobachtet. Noch konnte er nicht reden, aber bleich und bitterböse schaute er auf seinen Milchbruder hin. Wer kennt solches nicht?" |
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