DER  MONUMENTALPHILOSOPH
      
Zum Gedenken an Erich Heintel, der kürzlich 88jährig verstarb           

Erich Heintel ist tot - wäre man nicht selbst Philosoph, käme einem in den Sinn, daß ein Monument doch unsterblich sei; wozu hieße es sonst so, wobei sein Wortstamm auf die lateinische Wurzel "moneo" zurückgeht, was wiederum soviel bedeutet wie "erinnern", aber u. a. auch "mahnen" und "ermahnen". Erinnerungen sterben ja nicht - schon alleine aus dem einen simplen Grund, weil sie nicht leben in dem Sinn, als nur Lebendiges sterben muß.

Der Begriff "monumental" meint aber auch eher etwas Großes, Erhabenes - und erst in diesem Sinne etwas Erinnernswertes: aus seiner Einmaligkeit und Unwiederbringlichkeit heraus, weil es nie wieder so sein wird, wie es war - ein Sinnzusammenhang zumindest bei positiv Erinnernswerten.

Darin liegt Betrübliches und Tröstliches zugleich: betrüblich, weil man das erinnerswerte Gute für immer und ewig verloren hat und es nur in seiner persönlichen Erinnerung bewahrt, vielleicht auch verklärt, jedenfalls mit dem Flor des Traurigen umgeben und dem Verlustschmerz bedrückt; tröstlich mag sein, daß damit die Einmaligkeit des so Erinnerten hervorgehoben wird, seine Singularität - und ist/war der Erinnernswerte ein Mensch, daß damit seine nicht wiederholbare Individualität erkannt und bewahrt ist.

All das trifft auf Erich Heintel zu. Meine erste Begegnung mit ihm, als junger erstsemestriger Student von den hintersten Bänken des Auditorium maximum der Alma mater Rudolophina aus, nahm nur einen dröhnenden, lachenden, virtuos das Wort gebrauchenden Vortragenden weit, weit vorne wahr - und seinen Humor, der ihn - hoffentlich - nie verlassen hat. Ich habe diese ersten Eindrücke bis heute im Gedächtnis. Und dann meine letzte Begegnung mit ihm, gar nicht so lange her, bei einer Wiener Vorlesung, als er - schon körperlich geschwächt - wieder das Wort ergriff und mit seinen pointierten Sätzen den Sitzungssaal des Alten Wiener Rathauses in der Wipplingerstraße füllte. Da war er schon wieder, dieser sein Humor, der nicht umzubringen war - sein Körper mag E. H. sukzessive den Dienst versagt haben, seinem scharfen Geist und Witz hat das Altern nichts anhaben können.

Ja, und zweimal schlich ich, mit Angst und Spannung, zu ihm hin, aufs 1. Philosophische Institut in der Liebiggasse: als mich Erich Heintel - bei mir war´s nicht der "normalen" Abfolge entsprechend - "streng prüfte" anläßlich des jeweiligen Rigorosums zum Doktor der Philosophie und dann, sechs Jahre später, zum Magister der Naturwissenschaft. Beide Male war es zwar eine "rigorose Prüfung", aber meine Angst und meine Spannung waren beim ersten Aufblitzen seiner Augen, beim ersten festen Händedruck, beim ersten Erklingen seiner dröhnenden Stimme wie weggeblasen - nicht weg hingegen waren meine Kenntnisse, die ich - natürlich - brav säuberlich durch "Lernen" angehäuft und katalogisiert in meinem Kopf herumtrug und ihm darbot.

Ich habe mir damals geschworen: Auch ich möchte so ein Lehrer werden - aber (siehe oben): die Einmaligkeit eines Erich Heintel ist nicht nachvollziehbar, nicht einmal kopierbar, man kann sich bestenfalls an seine Monumentalität anlehnen - selbst da ist er noch immer Stütze genug; und was für eine Stütze!

Erich Heintel hat gleich mehrere Generationen von das Denken zu lernen Begehrender geprägt - wenn in diesem Zusammenhang auf der Universität mit Generation eine Studienzeit von acht Semestern gemeint sein darf. Ab 1960 war er Vorstand des Institutes für Philosophie, 1982 ist er emeritiert, das sind alleine fast sechs Generationen von Schnellstudierenden. Hervorragende Assistenten hat er an sich gebunden, sie aus- und herangebildet, fast alle sind sie heute selbst Professoren oder Privatdozenten; Hunderte Mittelschulprofessoren, ehemals Studenten bei E. H., haben bei ihm das Denken zu schärfen gelernt und die Wucht und Gewalt seiner vielfach neuen Gedankengänge wiederum an Generationen von Mittelschülern weitergegeben (in diesem Fall meint eine Generation bloß das eine Jahr in der 8. Klasse, in dem den österreichischen AHSlern die Philosophie nahe zu bringen versucht wird). Dabei hat sich Erich Heintel - der größte Pädagoge seiner Zeit auf dem Institut, vielleicht auf der ganzen damaligen Alma mater - nie selbst überschätzt und stets selbst relativiert: "Alles, was in der Philosophie in den letzten 2000 Jahren in Europa gedacht worden ist, hat Aristoteles in ähnlicher oder verwandter Form bereits an- wenn nicht gar vorgedacht", pflegte er zu sagen.

Und wie dieser Vater der europäischen Philosophie war auch Erich Heintel ein unerreichbares Vorbild, niemals ein Abbild und von solch originärer Wucht und Festigkeit gewesen, daß man auf ihm - in der Nachfolge von Archimedes - als unverrückbaren Punkt durchaus die Welt aus den Angeln hätte heben können.

Ich glaube, er hat es ohnedies vollbracht ...

© Walter W. Weiss (November 2000)