Schicksal und Streuung

oder

Vom Zwang zum Erfolg

 

von Walter Weiss

 

Als am 26. Dezember des Jahres2004  innerhalb kürzester Zeit 265 000 Menschen durch einen Tsunami den Tod fanden, war die Welt wie gelähmt. Nach einer Schrecksekunde sprang die internationale Hilfe an – und rund um den Erdball wurde die Frage gestellt, wie Gott eine solche Katastrophe zulassen konnte, wo er (zumindest nach christlichem Verständnis) die Menschen doch liebe: „Jesus loves you." Diese Frage ist nicht neu: Sie wird seit Epikur beharrlich gestellt und mündete in der Leibnizschen Theodizee, diesem aus den griechischen Begriffen für „Gott" und "Recht" gebildeten Kunstwort. In seinem „Essais de théodicée sur la bonté de Dieu, la liberté de l'homme et l'origine du mal" (1710) nimmt Leibniz (1646–1716) unter anderem auf die Hexenverbrennungen bezug. Der bekannte Theologe Josef Dirnbeck (geboren 1948 in Rotenturm an der Pinka) beschreibt in seinem Buch über die Inquisition Leibnizens Versuch so: „Die Theodizee bemüht sich, durch bestimmte philosophische Schlußfolgerungen einsichtig zu machen, daß es nicht unsinnig ist, auch angesichts des Leidens, aller möglicher Schicksalschläge und einer schier grenzenlosen menschlichen Bosheit an einen guten, gerechten, allwissenden und allmächtigen Gott zu glauben." Man muß diesen Satz genau lesen: Die Theodizee „bemüht sich". Damit sagt Dirnbeck indirekt: Aber gelingen tut es ihr nicht. Dirnbeck geht aber noch weiter: „Wessen Glaube an der Vorstellung zerbricht, Gott habe es „zugelassen", daß in der NS-Zeit sechs Millionen Juden vergast wurden ..., der hat auch vorher nicht wirklich an Gott geglaubt ... Ein solches primitives Gottesbild verdient nämlich gar nicht den Namen Glaube, und der „Gott", an den da geglaubt wird, ist ... nach den strengen Maßstäben der jüdisch-christlichen Überlieferung als „Götze" zu bezeichnen ..." Auch die öffentliche (in einer ZIB 2) getane und leicht verunglückte „Rechtfertigung Gottes" durch Kardinal Christoph Schönborn, wir wären eben einer auch gewalttätigen Natur ausgeliefert, und viele Betroffene würden trotzdem zum Gebet finden, verlagert das Problem für den Götzengläubigen nur: Dann hätte Gott eben die Natur nicht so gewalttätig schaffen dürfen ...

 

Der nachfolgende Artikel will nun aufzeigen, daß die „Rechtfertigung Gottes angesichts aller Übel in der Welt" völlig ins Leere geht. „Übel" ist natürlich und notwendig – und übrigens nur eine Bewertung durch die (von ihm betroffenen) Menschen: Böse ist, was mir schadet. Wer aber will wissen, ob momentaner Schaden nicht späteren Nutzen bringt – und wenn nicht mir, so möglicherweise anderen? Und wer will schon wissen, ob dieser Nutzen auch einer ist? Der Kalauer: „Gott kann auch auf krummen Zeilen grade schreiben", faßt dies in einprägsame Worte und will das Schicksal für die „Gläubigen" zurechtbiegen. Denn das Schicksal gilt als unerbittlich – und völlig uneinsehbar. Bei aller Philosophie der Freiheit – angefangen von den Philosophen des alten Griechenlands bis zum Deutschen Idealismus und Existenzialismus: Über dem sogenannten „freien Willen“ des autonom entscheidenden Eigenverantwortlichen thront immer noch das Unbezwingbare, bei den alten Griechen „Moira“ genannt, von den Gläubigen des Abendlandes „Wille Gottes“, von Hegel „List der Vernunft“ und von den Postaufgeklärten meist (offenes) „Ziel der Geschichte“. Hinter all dem verbirgt sich das gleiche, vom resignierenden Volksmund „Der Mensch denkt, und Gott lenkt“ bezeichnet. Wer oder was „lenkt“ uns daher – oder lenkt uns überhaupt jemand oder etwas?

 

 

Der Sämann

 

Im Neuen Testament ist es schon zu lesen: als Gleichnis vom Sämann[1], von dem viele Samenkörner gesät, aber nur wenige aufgehen und fruchten werden. Die moderne Biologie greift zwar nicht auf den Rabbi Joshua und seine angeblichen Aussprüche zurück, aber sie sagt das gleiche – nur mit anderen Worten: Die (organische) Natur sei verschwenderisch in ihrer (Re-)produktion; nur ein Bruchteil des Aufgewendeten erreiche seine Bestimmung, nämlich Befruchtung, Keimen und Weitergabe des Lebens. Der Rest sei pure Verschwendung – vergeudet, verloren, vergeblich, „sinnlos“.

 

Wirklich sinnlos? Gibt es in der Natur überhaupt Sinn – und kann es in ihr ergo auch Sinnloses geben[2]? Ist Sinn nicht „nur“ etwas, das wir mit unserer Vernunft, die nur Sinn macht, wenn sie auch sinnvoll (= „vernünftig“)[3] angewendet wird, in die Natur hineinsehen?[4] Abgesehen von dieser durchaus sinnvollen Überlegung: Zufällig kann die enorme Samenproduktion in der Natur nicht sein, denn

 

1)     ist Zufall nur eine menschliche Bewertung für kausal nicht Erklärbares und

2)     gilt doch offenbar: Je mehr von etwas da ist, desto eher kommt ein einzelnes von ihm zu seiner Bestimmung oder gar ans „Ziel“.

 

Wobei der Begriff „Bestimmung“ („Ziel“) meist unreflektiert verwendet wird: Denn welche „Bestimmung“ ist denn überhaupt gemeint? Bestimmung (Ziel) an-sich, für-sich oder nur für-uns? Wobei letzteres nur bedeuten kann, daß von uns eine x-beliebige, uns plausibel erscheinende (!) Bestimmung (Ziel) in die Natur hineingesehen wird.[5]

 

Sofort tun sich weitere Fragen auf: Was bedeutet Bestimmung an-sich und was für-sich? Und warum streut die Natur wirklich? Da die Natur selbst nicht vernünftig ist – auch wenn Hegel das behauptet hat; nicht alles, was Hegel dozierte, ist bzw. war vernünftig! –, entfällt das Argument der Sinnhaftig- oder Vernünftigkeit. Dennoch herrscht überall Überfluß.

 

Bestimmung an-sich meint unbewußtes, ergo auch unverursachtes So-sein von etwas, da verursachte Wirkungen und wirkende Ursachen nur vom menschlichen Kausalitätsdenken konstruiert sind: Wir vermuten eine Ursache und überprüfen durch Experimente, ob dies auch so sein könnte, das heißt, wir bestimmen etwas als Ursache für etwas anderes. Bestimmung an-sich ist also ein Widerspruch in sich – ergo gibt es auch keine „Ziele an-sich“, da auch Ziele eines zielenden Bewußtseins bedürfen.

 

(Reines) Bewußtsein für-sich wäre die philosophische Entkleidung der Metapher „Gott“: Dieses Bewußtsein genügte all-eine sich selbst; alles-andere wäre (und ist) entbehrenswert und notwendigerweise unnötig. Es wäre der ewig in sich ruhende „Gott“ des Monotheismus (Judentum, Christum, Islam) – und der Widerspruch in sich: „Worin“ „sonst“ sollte „er“ ruhen, wenn er einzig und allein wäre? Sogar die Begriffe „einzig“, „allein“ und „sonst“ entbehren ohne anderes jeden Sinn![6]

 

Bestimmung(en) oder Ziel(e) kann „die Natur“ – besser: können Erscheinungen oder Vorkommnisse in der Natur! – daher nur für-uns haben. Wir sehen also unsere Bestimmungen und unsere Ziele stets in die Natur hinein.

 

Dennoch ist die enorme und – wie wir eben eingesehen haben: ziel- und bestimmungslose – Streuung in der Natur Tatsache. Wie verträgt sich aber ziellos mit Streuung?

 

Die Schrotflinte gibt uns da ein gutes Beispiel: und zwar für jemanden, der nur schlecht oder gar nicht zielen kann. Auch das Maschinengewehr paßt hierher. Oder die Granate. Und die Splitter- und Streubombe. Sogar die – freilich wirklich völlig sinnlose – Streuung von Jetons auf dem Roulettetisch gibt einen guten Vergleich ab: Eine Kugel, ein Splitter wird das – von uns erkorene! – Ziel schon treffen, ein Jeton mag schon auf der richtigen Zahl liegen. Auch Lotto- und Totospieler üben sich gerne in Anwendung des Glaubens an die Streuung: Je mehr Tips gesetzt werden, desto größer werden die Gewinnchancen, gilt als Faustregel – und dem gesunden Menschenverstand widerspricht dies auch gar nicht. Eher macht schon Kopfweh das Verhältnis des Einsatzes zum – erhofften – Gewinn.[7]

 

Dennoch bleibt all dem eines gemeinsam: ein – wenn auch oft obskures und falsches – Ziel. Die Natur als subjektlose hat aber – wie wir oben (hoffentlich) eingesehen haben – keine Ziele. Was also tun mit der Streuung in der Natur?

 

 

Die Streuung

 

Wir Menschen neigen gerne dazu, auch der Natur Ziele zu unterschieben – und führen das auf die Praxis unserer eigenen permanenten Ausrichtung auf Ziele (= Absicht, Zweck, Wollen) zurück. Weil aber unsere Militärs mit Grantsplittern, Maschinengewehren, Streubomben oder gar Giftgaspartikeln (von der noch weit stärker streuenden radioaktiven Verseuchung wollen wir hier gar nicht erst reden) nicht genau zu zielen brauchen und dennoch ihre Zwecke erreichen, drängt es uns, der in der Natur beobachteten Streuung ähnliche „Absichten“ zu unterstellen.

 

Offensichtlich ist Streuung eine gute Sache – jedenfalls eine wirkungsvolle. Das Ziel „verschmiert“, wird in seiner genauen Lage im Raum nicht mehr so wichtig, muß nicht mehr direkt gewußt und bestimmt werden; seine exakte Position ist – man scheut sich fast, es zu sagen – sekundär, womöglich sogar nebensächlich, als dieses einzelne nicht einmal wichtig. Muß es daher überhaupt (noch) da sein? Denn, wie wir eben gesehen haben: Je unwichtiger die genaue Peilung des Zieles wird, desto mehr wird das Ziel an sich selbst entbehrlich: Das Ziel – im Sinne von etwas Vereinzeltem[8] - ist letztlich gar kein bestimmtes mehr – nur: Warum wirkt dann Streuung in der Natur?

 

Ist es das „Ziel“ des Löwenzahns, sich mit Hilfe seiner fallschirmähnlichen Samen, die der Wind durch die Gegenden weht, zu vermehren oder fortzupflanzen? Oder wird aus dem verwehten Samen „nur“ „dann“ eine neue Pflanze, wenn einer der unzähligen Samen vom Wind dort gelandet wird, wo „bloß“ die Bedingungen für das Keimen des Samens optimal oder zumindest es nicht verhindernd sind – was ja bekanntlich schon Jesus erkannt haben wollte (sic „Sämann“)? Das sind doch zwei völlig diametrale Blickwinkel, die segelnden Löwenzahnsamen zu sehen! Abgesehen davon, daß (hoffentlich) selbst der kühnste Esoteriker einem blühenden Löwenzahn nicht Absicht oder Ziel – und sogar solche komplexen Ziele wie Vermehrung und/oder Fortpflanzung – unterstellen wird.[9] Dennoch neigen wir dazu, die Samenproduktion des Löwenzahns – und nicht nur dieser Pflanze! – als „sinnvoll“ und damit als „vernünftig“ für die Erhaltung der Art zu bezeichnen. Hegel noch hatte diese Aporie, diese scheinbar ausweglose Situation im Denken, gelöst, indem er dozierte: „Alles, was wirklich ist, ist vernünftig, und alles, was vernünftig ist, ist wirklich.“ Es ist hauptsächlich diese Aussage, warum er als „Spekulationsphilosoph“ von seinen Gegnern bezeichnet wurde und wird. Denn vernünftig kann nur der richtige Gebrauch von Vernunft sein – und Vernunft ist, wie wir oben definiert haben, eindeutig eine oder sogar die Leistung des Homo sapiens sapiens,[10] mit Hilfe derer er sich in seiner Welt behauptet. Wo wäre auch das unserem Gehirn entsprechende, stets auf sich bezügliche „Zentralorgan“ als „Sitz der Vernunft“ in der Natur zu suchen? Wo deren „Zentrum“, auf das sich ihre „Vernünftigkeit“ bezöge, zu finden?

 

Wir sind aber überzeugt, daß der Löwenzahn, um als Art erfolgreich zu sein, in seinen einzelnen Realisierungen (also den einzelnen Pflanzen) Samen in dieser Art streuen muß. In taoistischen Ausdrücken: Er tut, was zu tun ist – ohne Absicht: wuwei in reinster Form. In diesem Sinn repräsentieren Pflanzen das taoistische Ideal des „Tun durch Nicht-Tun“ eher als alle anderen Lebewesen.

 

Wir müssen uns daher, um Hegels und der Gläubigen Fehler zu vermeiden, eher mit Statistik und Bandbreiten beschäftigen – und trachten, daraus absichtslose (Natur-)Gesetze zu schmieden oder Prinzipien zu entdecken ...

 

Nach diesem Ansatz geht die Natur gar nicht „verschwenderisch“ (selbst eine Wertung der Vernunft!) und somit auf den ersten Blick „unvernünftig“ (also „für-sich“ nicht sinnvoll) mit ihrer Vielfalt um. Der Grund für die immer wieder zu beobachtende Streuung in der Natur ist nicht irgendein „verdecktes“ oder von uns erfundenes Ziel, sondern es scheint in der Natur vielmehr ein omnipotentes und allgemeingültiges Prinzip zu wirken, das wir „Gesetz der Streuung“ nennen wollen. Damit meinen wir jene stets beschränkten (!) Möglichkeiten jedweder Realisierung, die in ihrer jeweiligen (speziellen) Bandbreite eine Art, Spezies oder im allgemeinen eine Klasse überhaupt erst konstituieren.

 

Offensichtlich ist das Phänomen (das Gesetz) der Streuung ein allgemeingültiges: Das beginnt mit der Vielfältigkeit der Quarks[11] und führt über die knapp Über-Hundertschaft der Elemente bis zur maximal möglichen Streuung der Galaxien, deren Menge und damit Unterschiedlichkeit letztlich unzählbar ist. Selbst die Streuung ist somit gestreut – von der Einzelheit der Elementarteilchen bis zur unbestimmbaren Vielheit der größten uns bislang bekannten Strukturen im All.[12]

 

Wir stellen daher fest:

 

1) Alles im Universum unterliegt der Streuung – sogar die Streuung selbst.

 

Das Viele ist gestreut. Es gibt keine Klasse von Existierendem, deren sie repräsentierende einzelne nicht quanti- und qualitätsmäßig gestreut wären, nichts Allgemeines, das nicht in – freilich limitierter – Mannigfaltigkeit aufträte, nichts, das innerhalb seiner Art nicht in dieser Art gestreut vorkäme.[13]

 

Auch die einzelnen der Spezies Mensch treten in sechsmilliardenfacher Streuung auf: weitere Streuungsmuster treten bei den – in dieser Bezeichnung heute allerdings als political incorrect verpönten – Rassen, in der Vielzahl der Völker, Stämme, Clane und Familien bis zur ebenso weit gestreuten Vielfalt der Sprachen, Religionen und Kulturen auf.

 

Und natürlich vor allem im „Schicksal“ des einzelnen, das von jedem eines anderen verschieden ist.

 

 

Das Schicksal

 

Was wäre das „Schicksal“ des einzelnen Individuums anderes, als Ergebnis der Streuung von unterschiedlichen Lebenszielen bzw. Einzelgeschichten (= „Einzelschicksalen“[14]) der sechs Milliarden Individualitäten der Spezies Homo sapiens sapiens?

 

Es gibt nichts innerhalb der Bandbreite des im menschlichen Leben möglicherweise Vorkommenden, was nicht schon irgendwann einmal eingetreten wäre – oder in Zukunft eintreten muß. Murphys Gesetzt drückt es – wenn auch negativ – aus: „Alles, was schiefgehen kann, geht auch irgendwann einmal schief.“ Auch das Positive umfassend und allgemein formuliert, lautete daher unser „Gesetz der Streuung“:

 

2) Alles, was möglich ist, geschieht bzw. realisiert sich irgendwann und an irgendeinem x-beliebigen einzelnen seiner Klasse.

 

Bezogen auf die Klasse Mensch bedeutet dies: Es gibt keine einzige Stelle des menschlichen Körpers, die nicht verletzt oder krank werden könnte; es gibt – allgemein gesehen – keinen einzigen Körperteil, der im Zuge der vielen bisherigen Kriege nicht schon durch einen Pfeil, einen Splitter, eine Kugel, durch radioaktive Kontamination (wie es heute so beschönigend heißt) beschädigt worden wäre. Alles, was möglich ist, muß sich irgendwann, irgendwo und an irgend jemanden (verallgemeinert: an irgend etwas) realisieren.

 

„Perfekte“ Streuung ist also die Verwirklichung von Möglichem innerhalb (s)einer Klasse – von der quasi unüberschaubaren Möglichkeit, wie sich Elementarteilchen oder Zellen zu einzelnen Dingen oder Organismen formieren können bis zur solitären (!), angeblich wabenförmigen Struktur der diese formierenden Galaxien. Oder, griffiger formuliert: Nicht nur Elementarteilchen können – und müssen daher! – kollidieren: auch Jumbos und Galaxien können, müssen es.

 

Angewandt auf den Menschen bedeutet dies: Es gibt kein (Menschen)Alter, zu dem nicht schon gestorben oder zu dem nicht schon irgendeine (der selbst fatal weit und breit gestreuten) Krankheit(en) ausgebrochen wäre. So gesehen hat der alte Kalauer durchaus Berechtigung: Es gibt nichts, was es nicht gäbe. Nur möglich muß es sein!

 

Perfekte Streuung – über alle Elementarteilchen, Einzelorganismen und jedwede dingliche Strukturen und deren Werden und Vergehen hinweg.

 

Die Varianz der menschlichen Individualitäten ist so groß wie die Zahl der bereits gelebt Habenden, der jeweils Lebenden und aller zukünftig leben Werdenden. Allerdings kann stets nur das realisiert werden, was innerhalb der Bandbreite möglicher Vorkommnisse innerhalb der Klasse „menschliches Leben“ realisierbar ist. Niemand Heutiger kann einem lebendigen Dinosaurier begegnen – und kein Römer hätte einen Düsenjet besteigen können. Erfindungen, die uns bevorstehen mögen, können wir unmöglich schon heute nutzen. Aber wenn es möglich sein sollte, Strom kabellos zu übertragen, oder die Gravitation durch Levitation zu überwinden, so wird diese Erfindung erfolgen. Ob es möglich ist, wissen wir heute noch nicht. Aber wir werden uns mühen, es herauszufinden – das und nichts anderes ist der Gang der Wissenschaft und das „Ziel“ unseres Fortschrittes, der in diesem Sinn eben nichts anderes als stetes Fortschreiten von bereits Erfahrenem und Bewährtem ist.

 

Der Ver- oder Ablauf von menschlichem Leben, die jeweilige Lebensgeschichte eines einzelnen, wird in genau diesem Sinn gerne als „Schicksal“ bezeichnet, da jedes Leben auf seine Zukunft hin offen ist. Aber nicht alles kann (siehe die Beispiele nur zeitadäquat möglicher Ereignisse) passieren. Unser „Hadern“ mit unserem Schicksal liegt „nur“ in dieser Offenheit unserer Zukunft begründet und wird durch die prinzipielle Unüberschaubarkeit der möglichen zukünftigen Ereignisse bestimmt.

 

Allgemein ausgedrückt bedeutet dies: Die Bandbreiten des Möglichen selbst sind gestreut und abhängig von der Natur der jeweiligen Klasse. Daraus ergibt sich:

 

3) Die jeweilige Bandbreite des Möglichen bestimmt die Natur ihrer Klasse!

 

 

Die Mannigfaltigkeit

 

Je stärker die Streuung, desto eher ein Treffer! – Aber nicht unbedingt: Wir haben ja von einem definierten Ziel in der Natur bereits abgesehen. Man schießt eben nicht mit Kanonen auf Spatzen, und man sucht nicht Gott mit der Taschenlampe. Beides wären inadäquate Mittel – aber immerhin noch Ziele. Ob lohnenswert bleibe aber dahingestellt.

 

Verbleiben wir im Zieldenken, müssen die Mittel passen – jedoch auch die Mittel selbst unterliegen dem Gesetz der Streuung. Also führen nicht alle Mittel zum Ziel oder: Nicht jedes Mittel ist das richtige. Wie die Samenkörner auf steinigen Grund (sic Jesus und das Neue Testament) fallen können und dort verdorren und nicht aufgehen, so können auch Mittel fehlschlagen ...

 

Wir sind haarscharf am Problem der Evolution und ihrer Mannigfaltigkeit.

 

Nicht alle Arten reüssieren. Nicht alle „fruchten“ und „erblühen“. Nicht alles, was realisiert worden ist, bewährt sich, hat in seiner Umwelt Bestand.

 

Wer entscheidet, was „reüssiert“, was „fruchtet“? Was „erblüht“?

 

Nur das Ergebnis: Wenn das Realisierte Bestand hat, wenn es sich entwickeln kann, wenn aus ihm weiteres evolviert, dann war es erfolgreich.

 

Wir sehen schon: kein bestimmtes Ziel ist vonnöten. „Erfolgreich“ ist „nur“ eine Richtung – es meint kein bestimmtes Ziel. Es gibt kein bestimmtes (End-)Ziel. Es gibt nur eine Richtung: die Möglichkeit zur Weiterentwicklung, zum Aufbau komplexerer Ordnung. Höhere Komplexität aber ist identisch mit einem Mehr an Information, mit größerem Strukturreichtum.

 

Als Erfolg(reich) bezeichnen wir in der Folge und in diesem Sinne daher den bzw. das, was dem Überleben/Fortbestand des einzelnen bzw. der Art (Spezies, Klasse) dienlich ist. In diesem Sinn sind natürlich Viren und Bakterien, Schildkröten, Warane und Krokodile (auch) erfolgreich: weil sie fortbestanden haben. Das reicht aber für Erfolg, wie wir ihn hier verstehen, nicht aus. Daher haben wir den Begriff der "Information" hinzugefügt: Wir meinen damit all jenes Neue, das zu höherer Komplexität (die natürlich erfolgreich sein, also Bestand haben muß!) eines Existierenden führt. Dem entspricht z. B. (auch) der Umstand, daß alles Irdische bzw. unser gesamtes Sonnensystem (unsere Galaxie) aus dem "Staub" längst

erloschener Sterne besteht, und zwar in Form unserer z. T. komplexen Atome, die sich erst als Folge früherer Sterngenerationen gebildet haben sollen ...

 

Der Großteil dessen, was heute über den Boulevard und so manche Medien als "Information" verbreitet wird, zählen wir hingegen nicht zu dieser Qualität von Information, wie wir sie hier verstehen und verwenden ...

 

Nachgrübelnswert wäre auch die Frage, ob der Impakt, der unseren Planeten vor 60 Millionen Jahren erschüttert hat, dem irdischen Erfolg dienlich war. Zwar hat diese Katastrophe die erfolgreichen (?) Dinosaurier ausgelöscht (die hatten immerhin rund 120 Mill. Jahre die Erde dominiert ... aber kann man eigentlich von "Erfolg" sprechen, wenn man 120 Millionen Jahre bloß "da" ist? Auch manche simple Bakterien, die quasi unverändert seit 3,5 Milliarden

Jahren wesen, können nur mit Vorbehalt als erfolgreich bezeichnet werden. Und wie "erfolgreich" ist ein zwar langes menschliches Leben - aber "bloß" als Couch-Potato? Andererseits hat dieser Impakt vor 60 Millionen Jahren den Aufstieg der Säugetiere mit uns Menschen als deren (angeblicher) "Krönung" erst ermöglicht. Wir haben es in der relativ kurzen Zeitspanne von 2 – 4 Millionen Jahren (je nach Entscheidung, welchen Vor- oder Ur"menschen" wir schon zur Hominidenevolutionen rechnen) immerhin bis zum Rande der

Selbstvernichtung gebracht! Wenn  d a s  kein Erfolg ist! Jetzt müßten wir nur noch so erfolgreich sein, unsere potentielle Selbstauslöschung zu

verhindern!

 

Dann erst wären wir wirklich  e r f o l g r e i c h !

 

 

4) Erst Streuung ermöglicht es, Information zu generieren.

 

Die Mannigfaltigkeit ist eine Folge der Streuung des Möglichen. Wie die Samenkörner auf fruchtbaren Boden fallen können oder auch nicht, „gelingen“ Arten – oder auch nicht. Im gleichen Sinne gelingen Menschenschicksale – oder auch nicht:[15] wenn ausreichend Information generiert und multipliziert wurde – oder auch nicht.

 

Mannifaltige Information. Ein Mehr an Information. Mannigfaltigkeit bedeutet immer mehr. Dieses Mehr realisiert die Streuung: Entfaltung des Eingefalteten.[16] Des „eingefalteten“ Möglichen ...

 

 

 

Die Anpassung

 

Samen werden gestreut: egal, ob auf ´s Feld oder in Vaginas. Nur einige/einer fruchten/fruchtet vielleicht, abhängig davon, welche Bedingungen herrschen. Fruchteten ununterschieden alle unabhängig von Umgebungsbedingungen, wäre die Mannigfaltigkeit bedroht: Daher muß die Bandbreite der Möglichkeiten dafür sorgen, daß die Keimbedingungen von Biotop, Umgebung, Umwelt, Mitwelt abhängig sind, an das/die sich das zur Realisierung kommen Sollende anpassen muß. Sonst unterläge es keiner Veränderung, erhielte nicht neue Informationen, wäre immun gegen Varianz: Die Evolution zu höherer Komplexität wäre gestoppt.[17]

 

Streuung wirkt daher vor allem über Anpassung an die Umwelt. Anpassung wird beim Menschen meist als Beschränkung, oft auch als (Zer-)Störung empfunden:[18] Und abermals: keine Beschränkung und „Zer-störung“, die nicht realisiert wäre! Hier trifft Murphys Gesetz voll zu! Freilich: Alle „Zer-störung“ erweitert (auch) die Information: „Der Krieg ist der Vater aller Dinge“, orakelte schon Heraklit. Emotionslos betrachtet über die Anpassung des Ge- oder Zerstörten an die neue Situation, ist dieser Gedankengang auch nachvollziehbar – solange nicht endgültig alles zer-stört ist. Endgültig zerstört. Solange noch neu motiviert und evolviert werden kann. Solange Neuorientierung noch möglich ist. Keine Klasse ist von diesem Prinzip ausgenommen:

 

5) Erst die Beeinflussungen von außen ermöglichen Neues.

 

Klassen als Nicht-Endliche (aber nur durch Endliches konstituiert) sind ihrem Wesen oder Prinzip nach un-endlich. Eine Klasse (Spezies, Art) muß nicht notwendigerweise „enden“ (= aussterben). Mehrheitlich mutiert sie, evolviert sie. Die Möglichkeit der endgültigen Vernichtung ihrer einzelner (Organismen) durch Ausrottung oder Naturkatastrophe(n) (z. B. Impakte) ist aber – wie fossile Funde zeigen – gegeben.

 

Wir nähern uns abermals den Bandbreiten des Möglichen.

 

Als vorläufiges Fazit bleibt uns aber:

 

6) Realisiertes erfährt aufgrund seiner Veränderung stete Informationszunahme. Die Möglichkeit, auch zerstört werden zu können, ist aufgrund der Bandbreite der Streuung allerdings gegeben. Innerhalb der Klassen müssen im Sinne der Informationspotenzierung einige erfolgreich sein – und einige zerstört werden.

 

Diesem Grundgesetz der Streuung zufolge werden einige Klassen (im organischen Bereich: einige Spezies und Arten) tatsächlich keinen Bestand haben, allerdings nur eine verschwindende Zahl von ihnen. Die Mehrzahl von ihnen, wird – siehe 6) – die Information potenzieren müssen.

 

Wenn also nach dem Gesetz der Streuung die meisten Vereinzelten Information potenzieren und damit „erfolgreich“ sein müssen, dann ist „Erfolg“ (= Informationspotenzierung) notwendig. Also gilt:

 

7) Solange nicht Zerstörung eintritt, muß sich Erfolg einstellen.

 

Das bedeutet, daß, um Erfolg zu garantieren, die Mehrheit der Fälle auch erfolgreich sein muß.

 

Wir nennen dies das „Prinzip der Informationsmultiplikation“, ohne das das Prinzip der Streuung nicht funktionieren bzw. sich gar nicht realisieren könnte.

 

An diesem Punkt unserer Überlegungen angelangt, erkennen wir sehr leicht:

 

8) Schicksal ist nicht „Schicksal“: Es ist das Produkt von Informationsverstärkung und Streuung.

 

Der Schluß – umgelegt auf die Evolution einer Art – lautet:

 

9) Um Erfolg zu erreichen, bedarf es des Erfolgreichen. Erfolgreiche können daher gar nicht ihr „Ziel“ verfehlen – sie gefährdeten sonst die Weiterentwicklung (= die Informationspotenzierung) ihrer Klasse oder Art.

 

10) Das „Schicksal“ der Erfolgreichen ist es, Erfolg haben zu müssen.

 

Der folgende Schluß ist daher zwingend:

 

11a) Nicht der Erfolg macht den Erfolgreichen (aus), sondern der Erfolgreiche muß Erfolg haben.

 

Er ist quasi zur Informationspotenzierung „verurteilt“: Er kann gar nicht anders. Das Gesetz der Streuung innerhalb seiner Art zwingt ihn dazu, quasi den Part des erfolgreichen Teils der möglichen Bandbreite auszuführen, zu realisieren. Er ist ein „Getriebener“, ein „Erfüllender“, selbst sein Wille unterliegt diesem Gesetz.[19] Heilige haben diesen Trieb „Göttlichen Auftrag“ genannt, Künstler „Kreativität“, Massenmörder „Vorsehung“.

 

Gemäß dem Gesetz der Streuung und seiner Bandbreite muß sich natürlich auch das andere Ende der Bandbreite realisieren. Daher gilt:

 

11b) Auch Mißerfolge sind vorprogrammiert (= Murphys Gesetz): (Auch) sie müssen eintreten.

 

Keine Streuung ohne Erfolg und Mißerfolg. Ohne erfolgreiche Streuung keine Entwicklung, keine Informationspotenzierung, ja nicht einmal Fortbestand, sondern Niedergang, Erlöschen, Verderben, Ende, Tod.

 

 

Die Gaußsche Normalverteilung

 

Jeder Gebildete kennt sie, jedem Statistiker ist sie Muttermilch: die Gaußsche Glockenkurve, auch Gaußsche Normalverteilung genannt. Sie hat die Form einer Glocke mit dem für Glocken typischen verflachenden Rändern unten und dem breiten Gewölbe oben. Unterteilt man die Kurve senkrecht in Segmente – egal in wieviele – wird immer der größte Teil der Kurvenfläche den breiten Höcker der Kurve umfassen und werden zwei – nach Belieben verkleinerbare – Minderheiten die beiden (unteren) Enden der Kurve bilden: Die absolute Mehrzahl ist Durchschnitt – wie immer dieser auch definiert sein mag –, zwei absolute Minderheit umfassen den Beginn bzw. das Ende der Kurve. Teilt man die Kurve von links nach rechts in fünf gleich große Abschnitte von 1 bis 5, so läßt sich exakt in Prozenten angeben, wieviel der Kurve in den Bereich 1, in den Bereich 2 und in den 3., 4. und 5. Bereich fällt. Die Kurve ist überdies mittelsymmetrisch: Einser und Fünfer sind gleich häufig, Zweier und Vierer ebenfalls, die Dreier umfassen die größte Fläche. Gleiches gilt sinngemäß für eine Zehntelung der Kurve usw.

 

Fazit: Die Erfolgreichsten (die Einser) und die mit dem größten Mißerfolg (die Fünfer, Zehner, Zwanziger etc.) halten sich immer die Waage – und die „stumme Mehrheit“ („silent majority“) liegt immer dazwischen, egal, was bzw. wie viele man ihr nun zurechnen mag.

 

Es gibt keine Gaußsche Normalverteilung ohne „Erfolgreiche“ – sie sind mathematische Notwendigkeit. Und über die anderen reden wir hier nicht. Die sind Redundanz der Streuung – bei all ihrer Priorität für die Sozialwissenschaften und die Religionen. Aber Wertungen sind Menschenwerk – und die Methode der Streuung ist ein kosmisches Prinzip, das Gauß in seiner Glockenkurve erfaßt haben mag – oder er hat es nur eher zufällig mitformalisiert. Wie immer auch: Die Gaußsche Normalverteilung ist nur ein Modell und hat mit dem Gesetz der Streuung nur soviel zu tun, als daß man letzteres – wenn man will – auch in der Gaußschen Glockenkurve erkennen kann.

 

Nach der Gaußschen Normalverteilung (Gaußsche Glockenkurve) verhalten sich „Treffer“ und „Nieten“ spiegelgleich: Sie stellen die absolute Minorität einer Ereignismatrix dar.[20] Genies[21] und Pechvögel[22] (= „Unglücksraben“, „Loser“) sind relativ selten. Die große Menge dazwischen repräsentiert das „Normalmaß“: weder sonderlich erfolgreich, noch sonderlich von Mißerfolgen geplagt. Die Art bringen sie im Normalfall weder weiter, noch sind sie in der Lage, sie zu gefährden: Es sind die Mitläufer, die „schweigende Mehrheit“ („silent majority“).

 

 

Der Erfolg

 

Es gibt gar kein Schicksal. Was wir „Schicksal“ nennen, ist das Ergebnis der Streuung von Mannigfaltigem mit dem Zwang (= der Notwendigkeit, und zwar der gesetzesimmanenten!), erfolgreich, ein Mitläufer oder eine Niete sein zu müssen; mit all der Streuung und all den Streuungsverlusten. Und da wir an den Beispielen von Schrotflinten und Neutronenbomben, aber auch an denen des Löwenzahns und der Spermien erkannt haben, daß der Streuverlust immer um einige Größenordnungen größer ist, als es der Treffer ist oder es die Treffer sind, müssen die Streuverluste beim „Schicksal“ auch mengenmäßig größer sein, als die „Treffer“/“Nieten“, also jene Schicksale, die als „erfolgreich“/„mißlungen“ bezeichnet werden können.

 

Nieten und Treffer eben.

 

Nieten und Treffer halten sich – nach Gauß – die Waage. Sie sind quantifizierbar. Bei strengem Maßstab an einer Hand. Nur die Treffer bringen aber die Entwicklung nachhaltig weiter. Nieten dagegen sind noch redundanter als „das Mittelmaß“. Dafür befördern die „Treffer“ die Evolution: der Art, des Geistes, des Alls.

 

„Schicksal“ ist daher weder „vorherbestimmt“, noch über- oder gar transweltlich, auch nicht göttlich oder zielgerichtet. „Schicksal“ ist entweder ein Treffer, ein Noname oder eine Niete der Streuung innerhalb der Mannigfaltigkeit; es ist ein statistisches Ergebnis im Sinne der Wahrscheinlichkeit, daß ein Ereignis unter vielen möglichen eintrifft – mehr nicht.

 

Das Eintreffen bestimmter „Schicksale“ ist sogar berechenbar. Und zwar ziemlich genau: Mit 0,03 % einer gefünftelten Normalverteilung sind am linken, unteren Ende der Gaußschen Normalverteilung die Erfolgreichen angesiedelt – und man kann diesen Prozentsatz beliebig verkleinern oder vergrößern – je nach Bedarf oder Definition von „Genie“ oder „Treffer“!

 

Spiegelbildlich gilt das gleiche für die „Loser“. Sie leisten zur Entwicklung der Menschheit keinen Beitrag.[23] Geschichtswirksam sind auch nicht die Vielen, sondern nur die raren Wenigen geworden, die – nach Kierkegaard – „durch das Gewitter (gegangen sind) wie ein Sturm“. Die erfolgreich waren. Die die Mannigfaltigkeit vorangetrieben, die Information potenziert haben, die evolutive Treffer waren – und dies ganz einfach sein mußten, um Komplexeres zu schaffen.

 

(12): Es zählt nur der Erfolg. Der Rest ist Redundanz.

 

Daran führt kein Weg vorbei: Es gibt kein Schicksal. Es gibt keine „höhere“ Macht. Es gibt kein Ziel – weder in der Geschichte noch in der Evolution.

 

Dieser „Erfolg“ zählt in allen Bandbreiten aller Klassen: von den Quarks bis zu Galaxien, von den Bakterien (= Dividuen, also durch Teilung praktisch ewig Lebenden) bis zu den In-Dividuen (die als höhere Organismen ihre Unteilbarkeit mit dem Tod erkauft haben), vom (menschlich) Guten (es gibt nichts außermenschliches Gutes) bis zum Schlechten (das ebenfalls nur als menschliches zu verstehen ist).[24]

 

Der Volksmund hat es längst erkannt: „Wo Tauben sind, fliegen Tauben zu.“ Und: „Dem Erfolgreichen gehört die Welt.“

 

Das hat nun überhaupt nichts mit Nietzsches Herrenmenschen zu tun oder irgendwelchem faschistischen oder elitären Gedankengut – auch nichts mit „auserwählten Völkern“ oder irgendwelchen „Reichen der Mitte“, „Gods own countries“ oder „Grand nations“.

 

Es ist  „bloß“  d i e  universale Methode, die da lautet:

 

13) Diversifizierung durch Mannigfaltigkeit und Erfolg durch Streuung.

 

Denjenigen, die aufgrund der Unbedingtheit diese Universalmethode, die mit Hilfe der Gaußschen Normalverteilung vorstellbar gemacht werden kann,[25] mittels ihres Erfolges die Mannigfaltigkeit ihrer Art oder Spezies (allgemein: der Klasse) vorantreiben (und dies sogar müssen!), ist der Erfolg durch nichts und niemanden verwehrbar. Erfolgreiche müssen und werden siegen. Erfolgreiche sind – aus Unbedingtheit und Notwendigkeit – unbesiegbar. Sie werden/müssen sich verwirklichen. Sie werden/müssen den Erfolg ernten. Der oder die eine mag krank sein und verarmen, er/sie mag Rückschläge erleiden und verkannt werden (die Streuung ist unerbittlich und unbestechlich!) – aber er/sie wird sich schlußendlich durchsetzen und anerkannt werden – müssen!

 

Die Kirche nennte dieses (statistisch berechenbare!) Phänomen euphemistisch „Gnade“ und schreibt es ihrem unfehlbaren „Gott“ zu. Sie irrt hier nicht einmal, wenn sie argumentiert, daß Gnade nicht erzwingbar sei – und auch nicht erbittbar. Daß sie auf einen „niederkomme“ aufgrund unersichtlichen „göttlichen“ „Ratschlusses“.

 

Statistisch ergibt sich „Gnade“ bei Fünftelung der Normalverteilung bei 0,03 % der „Gläubigen“.

!

Alle Märchen und Religionen haben einen wahren Kern.

 

Kein Mensch weiß allerdings – „Schicksal“ bzw. Streuung! –, ob  e r/s i e  der/die Erfolgreiche sein wird, den/die es aufgrund des Gesetzes der Streuung geben muß. Aber wenn er/sie sensitiv genug ist (und das ist jetzt nicht im Sinne von PSI oder Esoterik gemeint!), wird er/sie es recht bald erkennen. Und dann wird er/sie auch jeden Rückschlag, jede Krankheit, jeden zeitweiligen Mißerfolg als genau das werten, was sie sind: unerhebliche, unwichtige Ereignisse, die sie/ihn von  s e i n e m/i h r e m  Weg nicht abbringen können, da er/sie „zum Erfolg verurteilt“ ist.[26]

 

Dieses unbedingte Erfolg-haben-Müssen passiert allein aufgrund des Umstandes, daß es Erfolgreiche geben muß, da sonst überhaupt nichts wäre.

 

Fazit: Nur Erfolg garantiert das Universum.

 

 

Die Bandbreiten

 

Es gibt kein „Schicksal“ (kein vorherbestimmtes; wohl aber Schicksal als „Geschichte“ jedes Einzelwesens!) – und es gibt keine Prädestination. Was es gibt, ist die Unerbittlichkeit der Notwendigkeit, daß innerhalb der einzelnen Klassen Bandbreiten des Möglichen diese Klassen überhaupt erst definieren. Nur innerhalb dieser Bandbreiten von Möglichkeiten gibt es Realisierungen, die nach der Gaußschen Normalverteilung exakt und spiegelsymmetrisch gestreut sind: erfolgreiche, die „silent majority“, die Nieten oder Loser. Geschichtswirksam werdend und die Evolution vorantreibend wirken nur jene Fälle, die Information potenzieren und die Komplexität einer Klasse vergrößern. Genauso wie „Nieten“ statistisch notwendig sind, sind es auch die „Treffer“. Wer allerdings was ist oder wird, mag das sein, was man „Schicksal“ oder – wenn es als Treffer verstanden wird – katholisch verbrämt „Gnade“ nennt. Es ist aber „nichts anderes“ als die unbedingte Notwendigkeit, alle Möglichkeiten einer Bandbreite zu realisieren – egal, an welcher „Stelle“ (der Gaußschen Normalverteilung)der einzelne sich wiederfindet. Niemand kommt (s)einer „Plazierung“ aus – und vor allem kann sich niemand diese Plazierung aussuchen. Aber man erkennt relativ bald, wohin man „gestellt“ wurde: nicht von Gott, der Vorsehung oder sonst von „wem“, sondern alleine aufgrund der „Unbarmherzigkeit“ des Gesetzes der Streuung, das das ganze Universum bestimmt. Die Normalverteilung ist „gnadenlos“ – und unbedingt notwendig.

 

Warum? Abgesehen davon, daß jedes „warum“ sofort auf die (menschliche) Sicht der Welt aus den Niederungen der (konstruierten) Kausalität reduziert: Mathematische Formalismen kennen kein „warum“. Die Gaußsche Glockenkurve – von Gauß entdeckt bzw. erfunden – beschreibt die beobachtbare statistische Verteilung von Ereignissen und Vorkommnissen allerdings so exakt, daß man – wäre man nicht Philosoph – natürlich fragen müßte: Warum entspricht dieser Formalismus so gut dem Beobachteten, oder – gewagter formuliert: Warum entspricht das Beobachtete so sehr der Gaußschen Normalverteilung?

 

„Gott ist ein Mathematiker“, formulierte Einstein, und gab sich damit zufrieden. Wir glauben weder an Gott noch an Einstein und geben uns daher auch mit diesem Kalauer nicht zufrieden. Wir bleiben aber im Bild – und wir brauchen immer ein Bild, da wir uns sonst nichts vorstellen oder erklären können! – von Wellen oder Kurven: Die Erfahrung zeigt – und worauf sollten wir uns sonst berufen als auf unsere Erfahrung? –, daß alles, was wir erfahren, erleben, beobachten, mehr oder weniger pendelt: zwischen zwei extremen Möglichkeiten. Nicht auftretende Ereignisse pflegen wir mit der Vokabel „unmöglich“ zu belegen: Manches scheint all unserer Erfahrung zu widersprechen, nicht zu existieren, ergo nicht vorzukommen. Tritt ein solches unerwartetes und bisher unwahrscheinliches Ereignis dennoch ein, müssen wir unsere Erfahrung erweitern und unsere Theorie über das zu Erwartende um das Neue ergänzen: Vor allem müssen wir die Parameter unserer bisher gültigen Theorie(n) verändern. Und das ist ganz gut so und bringt den Fortschritt weiter – wir lernen und erweitern unsere Erfahrungen.

 

Die Bandbreiten der Möglichkeiten verändern sich also – sie müssen das sogar, da sich alles Existierende in der Welt verändert. Mit der Veränderung von Bandbreiten ändern sich aber auch die Klassen, die sie bestimmen bzw. bestimmt haben: Evolution wird wirksam. Trotz allem pendelt aber stets alles Realisierte innerhalb der – veränderbaren – Bandbreiten: Sonst gäbe es keine Klassen bzw. wären wir nicht in der Lage, Allgemeinbegriffe zu bilden: Wir hätten weder Tannen, noch Fichten, noch Lärchen, noch Zirben, auch keine Pinien, Kiefern und Zedern – nicht einmal Nadelbäume.

 

Erweitert sich die Klasse der Nadelbäume um eine unvermutete Mutation, entwickelt sich eine neue Art, stirbt eine andere aus – die Klasse „Nadelbäume“ wird sich verändert haben.

 

Erfolgreich sind jene Formen, die sich der jeweils herrschenden Situation (Klima, Umwelt etc.) angepaßt haben. Die jeweils optimal angepaßten werden sich am stärksten vermehren und in ihrer Art behaupten.

 

Und es muß jeweils optimal Angepaßte geben – es sind dies die erfolgreichen, die den Geboten der sich stets ändernden Umwelt am ehesten entsprechen. Die anderen führen ein Leben fernab des Fortschritts – sterben mit der Zeit ab oder aus: aufgrund des spiegelsymmetrischen Gesetzes der Streuung: die „Nieten“.

 

Wie bei den Menschen.

 

 

Dieser Aufsatz ist dem Buch „Universum und Bewußtsein“ von Erwin Kohaut und Walter Weiss, erschienen 2003 in der Edition va bene, entnommen.



[1] Das Gleichnis vom Sämann: Matthäus 13,1 – 9:  „Ein anderer Teil schließlich fiel auf guten Boden und brachte Frucht, teils hundertfach, teils sechzigfach, teils dreißigfach (9). Wer Ohren hat, der höre!“ (auch – fast wortgleich – Markus 4,1 – 9 und Lukas 8,4 – 8 )

[2] Wir bezweifeln dies und begründen es mit dem Theorem: Die Verneinung (= die Negation; alles „Un“-) kommt erst mit der Vernunft in die Welt, ist also (dem Stand unserer Forschung nach!) nur dem Menschen gegeben.

[3] „Vernünftig“ ist alles, was den Kriterien der Vernunft entspricht – völlig unabhängig von moralischen Werten! Ein Autodieb, der seine ganze Vernunft daran setzt, ein Auto perfekt zu knacken, handelt – wenn es ihm gelingt – durchaus vernünftig, wenn auch unmoralisch! Ob allerdings eine Handlung tatsächlich vernünftig gewesen ist, läßt sich – wenn überhaupt – immer erst im Nachhinein bewerten.

[4] „Sinn“ ist immer etwas Subjektives und Utilitaristisches. Es gibt keinen „objektiven Sinn“ – und womöglich auch noch einen „des Lebens“. Dieser ist bloß Mär oder Religion!

[5] „Bestimmung“ bedarf immer eines Bestimmenden – üblicherweise eines Subjektes, also Bewußtseins. Welche „Bestimmung“ in der Natur wirken sollte, ist nicht einzusehen: Ein Subjekt kann es nicht sein – sonst versandeten wir in Religion und verblieben nicht innerhalb der von Gott absehenden Vernunft. (Laplace: „Sire, dieser Hypothese bedarf ich nicht.“) Also wird es bekömmlicher sein, von in der Natur wirkenden „Gesetzen“ zu sprechen oder von „Prinzipien“ bzw. „natürlicher Ordnung“ – was immer das nun wieder sein mag ...

[6] Dies ist auch der von den Religionen behauptete unverursachte (!)„Grund“, „warum“ „Gott“ die Welt „schuf“: nämlich um anderes sich gegenüber zu haben. Heute west dieser unsinnige und in sich widersprüchliche Gedanke in der Urknall-Hypothese weiter ...

[7] Legion sind die „Spieler“ am Roulette-Tisch, die selbigen mit Jetons regelrecht pflastern und solcherart „das Glück“ zwingen wollen. Die Trefferquote steigt tatsächlich, aber die Relation Einsatz – Gewinn rechtfertigt den Einsatz wirklich nicht (mehr)!

[8] Mit Splitterbomben oder Granaten wollen die Militärs niemanden bestimmten treffen – sie wollen mit ihnen aber möglichst viele Feinde ausschalten!

[9] Selbst beim um seine Fortpflanzungsfähigkeit Bescheid wissenden Menschen dürfte der Prozentsatz jener Männer, die ihren Samen bewußt seiner „Bestimmung“ widmen und ihn dementsprechend zielbewußt plazieren, eher gering sein ...

[10] Zumindest kennen wir zur Zeit keine andere Spezies, die auch vernunftbegabt wäre.

[11] Von den Quarks gibt es 6 verschiedene Arten (up, down, strange, charm, bottom, top), die in jeweils 3 Farben auftreten können (sie tragen sogenannte „Farbladung“; deshalb heißt die dafür zuständige Theorie auch „Quantenchromodynamik“. Die Farbkraftüberträger sind die Gluonen): Man hat dafür die 3 Grundfarben der additiven Farbmischung gewählt: rot, grün, blau. Zusammen mit den Antiquarks gibt es also entweder 12 oder (unter Berücksichtigung der Farbladung) 36 unterschiedliche Quarks. Außerdem sind auch Mesonen hadronische Teilchen (nämlich Quark + Antiquark) – ein beachtenswerter Umstand, was den Aufbau des Materiellen betrifft. Denn die Quanten der Kräfte (= Wechselwirkungen) sind bekanntlich einzelne, sogenannte punktförmige Ladungen, wie z. B. das Photon.

[12] Neuesten Forschungen (Beobachtungen?) gemäß, sind auch die Galaxien in noch größeren Strukturen zusammengefaßt, die aber per se nicht mehr abzählbar sind, weil sie als „wabenförmig“ und „zusammenhängend“ beschrieben bzw. konstruiert werden (durch Computermodelle übrigens; direkt beobachtbar sind sie nicht). Die Streuung umfaßt also von Vereinzelten über faktisch nicht abzählbare Ganze bis zu prinzipiell nicht quantifizierbaren Strukturen alles!

[13] Mit Ausnahme der Dreiheit der Quarktriplets. Diese ist notwendig (siehe dazu „Universum und Bewußtsein“ von Kohaut/Weiss, Wien – Klosterneuburg 2003)

[14] Das Verbot, das zu Definierende mit dem Definiens zu „erklären“, läßt uns den Klammerausdruck in Anführungszeichen setzen. Aber jeder weiß, was damit gemeint ist!

[15] Wer entscheidet, was „gelingen“ bedeutet? Wir definieren auch hier mit dem „Maß“ der Multiplikation von Information.

[16] „Entfaltung“ ist ein Begriff, der auch von Kosmologen und Elementarteilchenphysikern zur Erklärung (= Entstehung) der Welt und ihrer „Dimensionen“ herangezogen wird. Siehe auch meine Arbeit über „Die Verwirrung mit den Dimensionen“ bzw. das entsprechende Kapitel im Buch „Universum und Bewußtsein“, Kohaut/Weiss, Wien – Klosterneuburg 2003

[17] bleibt, ist hier nur verlorengegangen

[18] ditto

[19] Hegels „List der Vernunft“ könnte hier angesiedelt werden. „Könnte“ – wer will wissen, was Hegel wirklich mit diesem seinen Terminus gemeint hat? Interpretationen (aller Neohegelianer) sind immer nur Glücksache.

[20] Es ist natürlich reine Willkür oder dient einem – meist politischen – Zweck, „Winner“ und „Loser“ zu quantifizieren. Sogar eine simple Zweiteilung der Gaußschen Glockenkurve ergibt „Sinn“: links die „Guten“, rechts die „Bösen“ oder „Schlechten. Schwarz-weiß-Malerei und Religion(en) entstehen auf solche Art und Weise. Die österreichische Benotungsskala der Schulen fünftelt die Normalverteilung.

Zur Normalverteilung wäre noch anzumerken, daß man durchaus willentlich und unter Energieaufwand die Normalverteilung stören kann. Z. B. kann in einer Diktatur die Einkommensverteilung eine völlig andere sein (etwa übermäßig viele Arme), während sich in einer freien Marktwirtschaft eher eine Normalverteilung einstellt.

[21] Was ist ein Genie? Nur der/diejenige, der/die von der Gesellschaft als solches anerkannt ist?

[22] Das ist „definiert“: Donald Duck.

[23] Vergleichbar dem Umstand, daß ja auch nicht jene Getreidekörner, die auf den Feldweg oder die Straße fallen, die von den Wühlmäusen gefressen oder von Dürre oder Flut, Fäulnis oder Krankheiten zerstört werden, die Saat weiterbringen. sondern alleine jene, die keimen und als Früchte später erntbar sind

[24] Utilitaristisch ist es ganz einfach: Schlecht ist, was mir schadet. Idealistisch wird damit das „Gottlose“ umschrieben. Philosophisch-sittlich hingegen bedeutet es: Den Bestand des einzelnen und der Art gefährdend.

[25] Wir können nicht oft genug darauf hinweisen, daß die Gaußsche Glockenkurve nur ein mathematischer Formalismus, also ein Modell ist, mit Hilfe dessen wir versuchen, diese Universalmethode fassen und anschaulich machen zu können!

[26] Wir verwenden nur an dieser Stelle die beide Geschlechter umfassende Schreibart, weil damit ausgedrückt werden soll, daß Genialität oder Erfolgreich-Sein kein Privileg des Mannes ist!