Schön borniert[1]

Evolution – und ihre geistigen Häuser

 

von Univ. Lektor Prof. Mag. Dr. Walter Weiss, Philosoph in Wien–Klosterneuburg

 

Es „begann“ nicht vor 15 Milliarden Jahren (plus-minus 2,5 Milliarden Jahren, was immerhin eine Fehlerquote von rund 17 Prozent bedeutet) mit dem Urknall; es „begann“ auch nicht vor 5766 Jahren, wie monotheistische Fundis eisern behaupten – nein, es (und diesmal ist nicht die Welt gemeint) war am 7. Juli 2005, als die nicht enden wollende Diskussion über das Für und Wider einer von Gott geschaffenen Welt wieder (an)gezünde(l)t wurde: vom Wiener Erzbischof Kardinal Dr. Christoph Schönborn. Die priesterlichen Zeilen in der New Yorker Times waren allerdings von so einfacher Denkungsart, daß sie ein jeder, der guten Willens war, als leicht widerlegbare Zurufe mit religionspolitischem Hintergrund entlarven konnte. Aufgeklärte Christen nahmen des Kardinals Designertheorie ohnedies nicht (mehr) ernst, und für aufrechte Wissenschafter war es eine leichte Übung, Glauben und Fakten auseinanderzuklauben und den Kardinal in sein geistiges Eigenheim zurückzuverweisen.

 

... und Brutus ist ein ehrenwerter Mann.

 

Diesmal hat der Wiener Kirchenoberste das Feuer seiner Botschaft in Kirche In gelegt – das Echo ist daher (auflagenbedingt) nicht so groß, wie in der New Yorker Times. Aber seine Argumente sind subtiler geworden: Diesmal bediente sich der Kirchenmann philosophischer Argumente – diese gehören aber einem anderen geistigen Haus an als jenem, in dem es sich der Kardinal eingerichtet hat; auch einem anderen als jenem, in dem die Wissenschaft wohnt.

 

Dabei handelt es sich bei dem Match, das Schönborn in Kirche In eröffnete, gar nicht um einen „Glaubenskrieg“, denn, wie er selbst schreibt, hat „Schöpfungsglaube“ mit Wissenschaftlichkeit „wenig“ zu tun. Das eine (der Glaube, wie ihn der Kardinal vertritt) ist tiefe Überzeugung und mehr als Wissenschaftlichkeit (nach des Erzbischofs Dafürhalten). Wissenschaftlichkeit hingegen sei nur Praxis bloßer Rationalisten, die Gottes Schöpfung mit ihren Erkenntnissen leer räumen wollten, so daß immer weniger für den Schöpfer übrigbliebe, der dann nur mehr als „Lückenbüßer“ (OT Ch. Sch.) fungiere. Damit werden geschickt konfessionelles Für-wahr-Halten (auf Basis des „Gotteswortes“) und Beweise aufgrund von  Forschung und (freiem!) Nachdenken gegenübergestellt. Es wird aber verschwiegen, daß sowohl Bekenntnis als auch wissenschaftliches Dafürhalten Glaube sind – jetzt aber „Glaube“ verstanden als Überzeugung, Gesagtes, Gelehrtes und Praktiziertes für wahr zu halten und zu bekennen. Kein echter Unterschied also – aber zwei geistige Häuser: Das eine (religiöse) fundiert auf der „Offenbarung“, das andere auf überprüf- und prognostizierbaren Tatsachen.

 

Wo man wohnen will, ist jedem unbenommen, und viele haben einen Zweitwohnsitz: mal im ersten, mal im zweiten Haus ... Ich möchte aus dem dritten, dem der Philosophie, antworten.

 

Kontingenz und Notwendigkeit

 

Schönborns Abrißbirne, mit der er das zweite Haus zertrümmern möchte, heißt Kontingenz, ein dem breiten Publikum – wahrscheinlich – unbekannter und unverdächtiger Begriff, der allerdings die philosophische Sprengkraft eines Impakts („Gottes Hammer“) hat. Er bedeutet schlicht „Zufälligkeit“ und leitet sich vom lateinischen contingere = sich ereignen ab. Seine religiöse Wucht (den Lateinern noch völlig unbekannt) geht auf die Scholastik zurück, wo mit der Kontingenz Gott „bewiesen“ werden sollte – ein sinnloses Unterfangen, an das der Mann vom Stephansplatz rund ein halbes Jahrtausend später anschließt, indem er mit der  Unmöglichkeit der Zufälligkeit alles Endlichen argumentiert. Das ist ebenso falsch wie subtil, so daß es dem Leser ergehen mag wie in Dürrenmatts „Biedermann und die Brandstifter“. Gezündelt wurde in beiden Fällen ...

 

Schönborn läßt die Katze in einem Zwischentitel aus dem Sack: „Nichts ist notwendigerweise da.“ Alles sei zufällig. Da das aber nicht sein könne (da hat er recht, der Herr Kardinal!), müsse es Gott geben. Diese Keule trifft, aber nicht als logischer Schluß. Schönborn geht es dabei sehr geschickt an: „Alles, was wir an Materiellem beobachten können, war einmal nicht da.“ Das ist zwar nicht neu, dafür aber das Wesen des Werdens: Alles Materielle wird – und vergeht wieder. Das verkündete schon Heraklit – übrigens ohne Rückbindung (= religio) an Gott. Schönborn argumentiert weiter sehr schlau: „Die Sonne ist entstanden, der Mond, die Erde, das Leben in all seinen Formen ...“ Hoppala, jetzt ist dem Scholastiker aber etwas durchgegangen: Sonne, Mond und Erde sind einzelne Dinge, Körper – und die sind (siehe Heraklit) dem Werdeprozeß unterworfen. „Das Leben“ aber ist kein Einzelding. Es ist – vorsichtig definiert – ein Allgemeinbegriff, und Begriffe, Herr Kardinal, sind nun mal nichts Materielles und somit auch nicht dem Werdeprozeß unterworfen! Als Scholastiker haben Sie die Wahl, „wo“ diese Universalien seien: ante oder post rem, gar in rebus? Faites votre jeu!

 

Das Leben als Allgemeines wird und vergeht nicht: Hingegen werden und vergehen die einzelnen Lebenswesen – wie auch einzelne Sonnen und anderes, was es da halt so gibt im All: Monde, Kometen, auch Planeten ... Nicht werden und vergehen aber deren Universalien (für sich lieber modern Ausdrückende: deren Allgemeinbegriffe oder Klassen). Die Erde z. B. gehört zur (unvergänglichen) Klasse der Planeten und ist einer jener Abermilliarden Wandelsterne, die im Universum um ihre Muttersonne kreisen. Beide, einzelne Sonnen und einzelne Planeten, kommen und vergehen wie die Maikäfer – das aber notwendig.

 

Aber auch kontingent. Sehen Sie, Herr Kardinal: Kontingenz und Notwendigkeit schließen einander gar nicht aus: Notwendigerweise ist das Vereinzelte nämlich kontingent. Von der Notwendigkeit des Werdens getrieben, ereignen (= contingere) sich Galaxien, Sonnen – und auch Menschen immer wieder, und das ganz kontingent. Alles – auch Sie – gibt es nur ein einziges Mal. Das hat schon Leibniz in seinem principium identitatis indiscernibilium festgeschrieben: „Zwei vollkommen gleiche, nicht unterscheidbare Dinge kann es in der Welt nicht geben, sonst wären sie eins.“ Kontingenz ist also notwendig und hält die Welt in Schwung – im Innersten zusammen hält sie hingegen die Notwendigkeit. Kontingenz ist nur die Methode Gottes – aber niemals ein „Gottesbeweis“, wie Sie ihn in Kirche In anbieten!

 

Erwartungsgemäß muß bei Ihnen auch Paulus herhalten, von dem schon Goebbels alles propagandistisch Verwertbare gelernt hatte: „Was hält alles im Dasein?“ fragen Sie in bester Rhetorik. Die Wunschantwort geben Sie dann weiter unten, nachdem Sie noch behaupten: „Nichts von dem, was materiell existiert, ist notwendig da.“ Potzblitz! Woher haben Sie denn das? Vom Aquinaten? Der erste Säulenheilige allein, Augustinus, wird wohl nicht reichen ...

 

Es ist ein bewährtes Vexierspiel der Propaganda, einzelnes und Allgemeines zu vermischen: Natürlich ist jedes einzelne (!) kontingent (also zufällig). Wirklich? Denn ebenso notwendig geht das Kontingente aus einem Substrat hervor, das sich jeweils „nur“ neu ordnet! Woraus wird bzw. besteht denn die Unzahl der Dinge (also Materielles)? Aus Materie (Aristoteles hatte noch „Stoff“ dazu gesagt). Und woraus besteht diese(r)? Schlag nach bei Schrödinger oder Einstein – auch Zeilinger reicht zum Einstieg. Aber bitte nicht bei Marx, denn der hat 's auch nicht begriffen! Masse und Energie (Physikern ist der Ausdruck des Masse-Energie-Äquivalentes geläufiger) „werden“ nicht – sie sind, besser: ihr Äquivalent ist. Dafür gibt ´s sogar den Energieerhaltungssatz ... Masse und Energie (Aristoteles hatte letztere noch „Form“ genannt) sind ineinander wandelbar – aber ihr Äquivalent ist unveränderlich. Man könnte es daher auch „ewig“ nennen, denn nur Veränderliches ist der Zeitmessung unterworfen ...

 

Ist es zufällig („kontingent“), daß es einen Christoph Schönborn und einen Walter Weiss gibt? Warum unsere Eltern unsere Eltern (Ihre adelige, die meinen proletarisch-bäuerliche) waren, ließe sich jetzt über – stets unbefriedigende – höchst willkürliche Kausalketten konstruieren. Kausalität ist aber „nur“ eine Konstruktion des Selbstbewußtseins – damit sich dieses seine (!) Welt „erklären“ kann. (Der Konstruktivismus leitet sich übrigens davon ab.) Sie hingegen, Herr Kardinal, entmündigen (!) Gott, wenn sie im letzten Absatz des Kirche In-Artikels von „göttlicher Kausalität“ sprechen und (sechs Zeilen darüber) von Gott als „Ursache“. Das heißt nämlich im Klartext: Gott ist der Kausalität unterworfen. Wollten Sie das wirklich transportieren? Dann wäre die Kausalität nämlich der eigentliche „Gott“ – und der Ewige hätte sich nach ihr zu richten! Sie galten doch als papabel!

 

Dem Nichts kommt Sein nicht zu!

 

Das, was Materielles ist (Masse und Gravitation), wird natürlich nicht und ist auch nicht vergänglich – es ist vielmehr das Voraussetzende dafür, daß sich das von ihm Vorausgesetzte (das vereinzelte Materielle nämlich) überhaupt erst verändern kann (durch Energie), daß es also wird und vergeht! Was wäre denn, wenn sich das Fundament alles Veränderlichen, das ewige unveränderliche Masse-Energie-Äquivalent, tatsächlich änderte? Dann wäre die physikalische Grundstruktur unseres Universums samt seinen es stabilisierenden Elementargrößen (die sind es nämlich, „was die Welt zusammenhält!“) und somit auch die auf ihnen basierende Veränderung (das Werden des Materiellen) perdu – es „wäre“ nichts.

 

Das aber, Herr Kardinal, kann gar nicht sein, denn nur das Sein ist – das Nichts aber nichtet, wie uns Altmeister Heidegger so unnachahmlich beigebracht hat. Dem Nichts kommt Sein gar nicht zu – also kann es nicht sein oder gar andauern, da, wie Sie von Augustinus her ja wissen, alles der Zeitmessung Unterworfene andauern muß, und ohne Veränderung des Dauernden Zeitempfinden gar nicht möglich wäre. Und was, bitte, sollte sich „am“ Nichts verändern, das nicht einmal dauern kann? Oder am Sein? Veränderung des Seins wäre nur zum Nicht-Sein – nein, eben nicht möglich, sondern unmöglich. Denn dann würde und verginge nichts mehr – und das ist unmöglich. Unmögliches aber gibt es nicht ...

 

Also was jetzt? Um diese Fundamentaleinsicht (für den Philosophen eigentlich so etwas wie eine Binsenweisheit) zu verschleiern, machen Sie Gott zu einem Büttel der Kausalität und der Logik! Zu einem „Gott“, der „alles im Dasein hält“! Und diese Ungeheuerlichkeit garnieren Sie noch mit dem rhetorischen Fragesatz: „Warum fallen wir nicht ins Nichts zurück?“ Jetzt wollen Sie uns ins Nichts auch noch  fallen lassen?

 

Aber Sie legen noch nach: „Gott hält alles, was ist, im Sein. Ohne diesen Halt wäre es nicht.“ Darf ich Ihnen etwas verraten? „ER“ (Ihr „Gott“) braucht das Sein nicht zu halten, denn es könnte ihm gar nicht ins Nichts fallen! Solches halten (sic!) nur Sie für möglich – und preisen es Ihren Gläubigen als (geoffenbarte? Wo eigentlich?) „Wahrheit“ an!

 

Haben Herr Kardinal etwa bei Poppers Dreiweltentheorie Anleihe genommen und diese ein wenig Ihrem geistigen Haus angepaßt? Gott hält, das Sein fällt – und das Nichts fängt es auf? Potzblitz: Das Nichts als „Grube“, in die das Sein fallen kann, wenn es vom Übervater nicht gehalten wird ... aber Christoph!

 

Das Sein braucht keinen „Gott“, der es hält ... es ist Gott! Aber in Ihrem geistigen Haus trennen Sie Gott vom Sein – das ist Hexerei! Vor allem wenn Sie Prophet spielen: „Würde Gott die Schöpfung loslassen, dann fiele sie in das zurück, woraus sie kommt, ins Nichts.“ Donnerwetter! Nach Ihnen kann man „aus“ dem Nichts sogar kommen! Wie aus der Kirche! Oder dem Bordell. Das Nichts als Herkunftsort also ...

 

Wie anders und philosophisch sauber argumentierte doch (noch) Paulus, den Sie zitieren (1 Kor 12,6): „Gott wirkt alles in allen.“ Wenn Sie statt „Gott“ „Sein“ setzen, geht des Paulus tiefe Erkenntnis sofort auf – und wenn Sie statt „wirkt“ „werden“ setzen, wird aus des Paulus tiefem Glauben tiefe Wahrheit und ein Bekenntnis, das zu vertreten sich wahrlich lohnt! Dieser (!) Gott ist wahr! Ihn zu ehren ist ehrenhaft. Ihn anzubeten Diskussionsgrundlage.

 

Und immer wieder (falsche) Dualitäten

 

Es gibt für Sie natürlich auch „innerweltlich“ und „außerweltlich“ – die klassische Dualität, mit der jede Religion die eine Welt auseinanderreißt. Das mit dem „außerweltlich“ erinnert mich an den päpstlichen Mörder Giordano Brunos, Clemens VIII. Der hatte seinerzeit argumentiert, die Welt könne nicht unendlich und ewig sein, wie Bruno behauptete, denn sonst bliebe für Gott kein Platz mehr übrig ... Gott braucht also Platz! Glaubt(e) die Kirche das wirklich? Der Gott des Paulus braucht keinen Platz; er braucht unabzählbar viele: als Welt nämlich, die ohne Anfang und Ende ist, aber Raum schafft für die vielen notwendigen Orte, an denen Gott sich realisierte; er braucht Platz, sich permanent als Selbstbewußtsein zu verwirklichen, sich (!) zu schöpfen, kontingent natürlich, Herr Kardinal, aber notwendig.

 

Warum reißen Sie auseinander, was Eines, aber polar ist? Gott ist diese Notwendigkeit, sich in permanenter Veränderung des Da-Seienden zu manifestieren! Gott realisiert sich auf allen Plätzen (= Orten) des Raum-Zeit-Kontinuums! Gott „hält“ uns nicht (wie an der Leine oder an der amtskirchlichen Leimrute), sondern er verwirklicht sich ewig (und nicht erst seit 15 Milliarden Jahren, wie uns die Urknaller mit päpstlicher Schützenhilfe weismachen wollen!) als Selbst in jedem Lebendigen, das zu Selbstbewußtsein evolviert ist. Natürlich sind wir das Ebenbild Gottes – wir sind „ER“ (die Feministinnen mögen mir verzeihen): aber als einzelne eben nur Teil seiner Ganzheit, aber nicht das Ein-Alle selbst, das bekanntlich mehr ist als die Summe seiner Teile. Diese Ganzheit (= das „Selbst“; Ihre Kirche nennt „IHN“ „Person“, was sehr mißverständlich sein kann, denkt man dabei doch eher an ein Individuum denn an die Identität von Gott und Welt!) ist „ER“– aber in und durch uns! Gott braucht die Welt, er ist durch sie! „ER“ hat sie nicht geschaffen, „ER“ schöpft sie permanent und damit auch sich (!): durch Selbstbewußtsein, das sich als sein Ebenbild weiß!  Pantheismus? Hatte Giordano Bruno einen solchen verkündet? Mitnichten! Darf ich Sie an des Freimaurers J. W. Goethes hinreißende Verse verweisen?

 

Was wäre ein Gott, der nur von außen stieße,

im Kreis das All am Finger laufen ließe!

Ihm ziemt ´s, die Welt im Inneren zu bewegen;

Natur in Sich, Sich in Natur zu hegen ...

 

Giordano Bruno ist dennoch genüßlich, mit der spanischen Birne im Mund, splitternackt, bei künstlich klein gehaltener Flamme, damit seine Qual länger dauere, am 17. Februar 1600 auf dem Campo di fiori, dem Blumenmarkt in Rom, öffentlich zu Tode gebraten worden. „Mit größerer Furcht verkündet ihr das Urteil, als ich es hinnehme“, waren seine letzten Worte gewesen. War er nicht Dominikaner gewesen wie Sie, Herr Kardinal? Ein Domini canis war er (kursiv ad libitum) sicherlich nicht! Heute gibt es erfreulicherweise Kirche In ...

 

Auch Ihr Argument mit dem Niedrigen zum Höheren ist dualistisch: „Niedrig“ und „hoch“ sind relative Begriffe, für die wir das Absolute sind. Und es bedarf wirklich keines „orientierenden, organisierenden Wirkens“, um „Höheres“ aus „Niedrigerem“ zu generieren. Wenn ein Lichtstrahl durch ein Prisma fällt, ergeben sich die Regenbogenfarben: Und die sind doch zweifellos komplexer als ein Sonnenstrahl, oder? Nein, für Sie ist dies ein „einzelner Schöpfungsakt“. Beim Doppelspaltversuch entstehen plötzlich Interferenzmuster auf dem dahinterliegenden Schirm: Komplexeres aus Einfachem durch Öffnen des zweiten Spaltes. Ein „Schöpfungsakt“? Wieso reagieren Menschen in Massen, Mengen oder Gruppen (in gewissen Fällen sogar als einzelne) über die Jahrtausende hinweg immer gleich, von Paulus bis Schönborn? Man muß ihnen das vom Propagierenden Beabsichtige nur richtig aufbereiten (übrigens immer nach demselben Rezept), und schon mundet es. Man nennt das „gruppendynamisches Verhalten“ (in Extremfällen „Massenpsychose“). Stets aber unterscheidet sich komplexes Verhalten einer Menge von dem des einzelnen. Schöpfungsakt?

 

Auch jonglieren Sie sehr verwirrend (vexierend) mit Ursache, Wirken und Wirkursache. Daß Sie damit die Kausalität zum eigentlichen Gott machen, darauf  habe ich Sie schon oben hingewiesen. Daß kausales Erklären der Welt aber ein Akt (eine Methode zum Erkenntnisgewinn!) von Selbstbewußtsein ist, erwähnen Sie in keinem Satz. Kausalität wirkt gar nicht in der Natur (Schöpfung) und unabhängig von Ursache-Wirkung konstruierendem Selbstbewußtein. Vielmehr sind wir es, die Kausalität in die Natur (Schöpfung) hineinsehen und damit das Werden erklären. Oder wollen Sie Ihren Lesern unterstellen, daß es Gott nötig habe, „seine“ Welt kausal zu lenken und dabei noch „Wirkursache“ zu spielen? Ich dachte immer, der Gott der Amtskirche sei omnipotent (was ja philosophisch auch kein Widerspruch zur Polarität von Potenz und Sein wäre) – aber der Kausalität unterwürfe „ER“ sich?

 

Mit Würde das Pferd vom Schwanz her aufzäumen

 

Es wäre verwunderlich gewesen, hätten Sie nicht auch das Leben per se als Zeugnis der „Existenz“ Gottes angeführt: Sie zäumen dabei das Pferd vom Schwanz auf, wenn Sie argumentieren, es seien auf unserem Planeten „eine ganze Reihe von Voraussetzungen notwendig, ohne die kein Leben möglich wäre.“  So geht ´s natürlich auch, und der Unbedarfte wird Ihnen händeklatschend in Ihr Haus folgen. Dabei ist es „bloß“ umgekehrt: Leben muß permanent entstehen – und zwar im gesamten Universum, wo sich Flüssigkeiten realisieren – wegen des Transports von Information. Warum? Weil Gott sonst gar nicht wäre! Also ist auch irdisches Leben entstanden, und zwar nicht, weil die Voraussetzungen so waren, sondern weil eben diese Voraussetzungen dieses Leben hervorgebracht haben: andere Voraussetzungen, anderes Leben, sprich: eine andere Art von Evolution. Evolution aber allemal und ubiquitär im All: stets mit dem „Ziel“, Selbstbewußtsein zu verwirklichen. Denn: ohne Selbstbewußtsein kein Gott, und ohne Gott keine Welt (da dürften wir sogar einmal einer Meinung sein). Was Sie als „göttlichen Funken“ bezeichnen, ist vielmehr die Notwendigkeit (und nicht etwa die Kontingenz!) des Lebens. Kontingent sind nur seine Formen (Homo sapiens sapiens oder Aliens) – notwendig aber ist Leben allemal.

 

Und warum betreiben Sie dem gläubigen (?) Leser gegenüber Etikettenschwindel? Die Einmaligkeit jedes Menschen (einverstanden, Eure Eminenz) reduzieren Sie auf seine genetische Einmaligkeit (was ja auch stimmt!), erwähnen aber mit keinem Wort, daß auch die (Lebens-)Geschichte (das „Schicksal“) eines jeden Menschen einmalig ist. Hingegen strapazieren Sie die Würde – und führen diese auf „nach Gottes Bild und Gleichnis“ (Gen 1,26) zurück. Als ob Gott Würde brauchte und wir ihren Abklatsch! Würde ist ein Gesellschaftsphänomen. Der Einsiedler hat keine – oder nur für andere. (Was nicht in CNN ist, existiert nicht!) Da aber Gott einmalig ist (in Ihrem geistigen Haus sogar eine „Person“): Wem gegenüber hätte er es denn nötig, würdig zu sein? Ficht es den Mond an, wenn ihn der Hund anjault? Die Olympischen mußten sehr wohl würdevoll sein – sie waren ja auch eine himmlische Schar und der olympischen Gruppendynamik gehörig unterworfen. Der Vielen Würdigster war Altvater Zeus. Aber Gott der Eine? Herr Kardinal!

 

Ewiger Gott – ewige Welt

 

Sie lassen Ihren Artikel ausklingen, indem Sie abermals auf die „göttliche Kausalität“ rekurrieren und schließen auch Gottes „fallweises Eingreifen“ nicht aus (als ob wir ein solches bräuchten! Und was wäre dann mit der Freiheit und der christlichen Eigenverantwortung? Oder gärt die doppelte Prädestination des Augustinus noch immer in Ihnen nach?) Sie wiederholen, daß ER diese Welt „zusammenhält“ (und dadurch vor dem Absturz in die „Grube“ des Nichts bewahrt), damit sie Schritt für Schritt höhersteige.

 

Jetzt bin ich das zweite Mal Ihrer Meinung: Die Evolution ist tatsächlich schöpferisch – wie jeder Mensch übrigens auch. Weil es notwendig ist (!), daß das Fortschreiten in der Natur kontingent (!) erfolgt. Erfolgte es nämlich nicht notwendigerweise kontingent, wäre Neues gar nicht möglich. Nur aus (Kopier-) Fehlern ergibt sich Neues. (Sie mögen Darwin nicht, gell?) Das heißt natürlich überhaupt nicht, daß – was Sie Ihren unkritischen Lesern wohl glauben machen wollen – „blindes Spiel willkürlichen Zufalls“ walte. Mitnichten, Eure Eminenz: Auch Zufälle unterliegen den beschränkten Möglichkeiten ihres Auftretens und sind niemals „blind“: Zufälle (oder was wir bzw. Sie dafür halten) gibt ´s  nämlich nur innerhalb der Bandbreite der jeweiligen Streuung des Möglichen einer Klasse oder Art. (Sie würden „Universalien“ dazu sagen.)

 

In diesem Sinn ist natürlich auch die Evolution nicht „autonom“, wie Sie abermals glauben machen wollen. Autonom ist Selbstbewußtsein, und auch das nur, wenn es will und sich gegen andere (!) behaupten muß! Seit wann hätte die Evolution – oder gar Gott! – Willen? Willen benötigt man nur, um sich gegen andere oder Bedrohendes durch- oder für Interessierendes einzusetzen. Gegen wen oder wofür hätte Gott sich „durch-“ oder gar „einzusetzen“?  Die Evolution ist daher notwendigerweise auf die Selbstverwirklichung Gottes hin ausgerichtet. Das ist freilich nicht ein Ziel, wie ein Fußballer ein Tor schießen möchte; es ist ein Ziel, das immer schon erreicht ist: Durch den ewigen einen (!) Gott, der sich in den unzähligen Selbstbewußtseinen dieser Welt zu allen Zeiten verwirklicht – und in der Vielzahl der Dinge realisiert.

 

Gott (als grammatikalisches Neutrum) ist ewig – aber „SEINE“ Welt auch. Und hätte „ER“ uns nicht das von Ihnen angekreidete „vernünftige Verstehen“ mitgegeben, hätte „ER“ sich selbst ausgetrickst und damit sich und die Welt verunmöglicht. Das aber ist nicht einmal „IHM“ möglich: Denn „ER“ ist Potenz, nicht aber Impotenz! Daher gibt es „IHN“ und die Welt: aus Zwang zum Sein. Schöpfungsmythos ade. Zur permanenten Schöpfung aber ja!

 

Si tacuisses, philosophus mansisses.



[1] borniert (nach Duden):  unbelehrbar, engstirnig; auch: kurzsichtig. Andere Bedeutungsinhalte sind nicht intendiert und werden vom Autor dezidiert zurückgewiesen.